Die Chancen für zukunftsfähige Innenstädte und Zentren stehen gut, ohne eine empirisch basierte Strategie geht es aber nicht. Elementarer Teil dieser Strategie auf dem Weg zur erfolgreichen Vitalisierung von Innenstadtlagen sind die vier Phasen Verstehen, Planen, Machen, Teilen. Die Perspektive der Bürger:innen als Leitprinzip ist dabei entscheidend. Der folgende Beitrag stellt den nachhaltig strategischen Ansatz des IFH KÖLN zur Innenstadtvitalisierung vor, gibt konkrete Beispiele und zeigt, was entscheidende Stellschrauben für lebendige Stadtzentren sind und welche Rahmenbedingungen dafür geschaffen werden müssen.
Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Urbanisierung, neue Mobilität, neue Multifunktionalität – Kommunalverantwortliche sind mit vielfältigen Anforderungen an die „Stadt von Morgen“ konfrontiert. Doch wo starten? Welche sind die richtigen Maßnahmen? Was wirkt nachhaltig und ist kein Schnellschuss als Reaktion auf vermeintlichen politischen Druck „etwas Digitales machen zu müssen“?
Fakt ist: Nicht eine einzelne Maßnahme oder Megatrend kann als rettender Erfolgsfaktor für die Zukunft von Standorten eingesetzt werden. Vielmehr muss eine ganzheitliche, lokal individuelle Strategie gefunden und umgesetzt werden. Es macht die Aufgabe „lokale Zukunft gestalten“ zwar deutlich komplexer, ist für echten, nachhaltigen Erfolg am Standort aber alternativlos.
Es gilt also, mit den Akteur:innen vor Ort eine Herangehensweise zu finden, mit der dieser Prozess in Gang gebracht und realisiert werden kann. Sinnvolle digitale Werkzeuge, wie LeAn®, mit denen das Leerstands- und Ansiedlungsmanagement gezielt vorangebracht werden kann, gilt es dann in die Prozesse zu integrieren.
Wie wird strategisch erfolgreich Standortattraktivität gesteigert?
Standortstrategien sind keine „One-Person-Show“. Umso wichtiger ist es, zunächst Leitlinien für die gemeinsame Arbeit der Akteure und Akteurinnen vor Ort festzulegen. Zu oft sind Dialog oder sogar schon Projekte gestartet, um dann durch Partikularinteressen lokaler Stakeholder oder durch politische Wünsche zerrieben zu werden.
Zwei wichtige Leitlinien lauten beispielsweise: „Alle Macht geht von den Bürger:innen aus“ – das heißt, Ideen, die nicht aus der Perspektive der Bürger:innen hergleitet sind, wird eine Absage erteilt. Selbst dann, wenn sie z. B. vom Oberbürgermeisterbüro persönlich kommen. Zweitens: „Alles baut auf lokalen Strukturen auf und digital generierte Daten bleiben stets im Zugriff der Kommune“.
Verstehen, Planen, Machen und Teilen – Vier Strategiephasen für vitale Zentren
Verstehen: Grundlegend für den Erfolg einer Standortstrategie ist ein empirisch basiertes Verständnis über die Gegebenheiten vor Ort. Damit die Strategie passgenau für den Standort ist, müssen zunächst in einer umfänglichen Analyse individuelle Stärken und Schwächen herausgearbeitet werden. Dieses Wissen über den Status quo schafft die notwendige Orientierung. Dabei sind möglichst alle Perspektiven einzubeziehen: Bürger:innen, kommerzielle und nichtkommerzielle Akteure, örtliche Kommunalbetriebe, Medien etc.
Analysiert werden operativ sowohl bereits verfügbare Daten als auch Befragungsergebnisse und Resultate aus verschiedenen möglichen Partizipationsformaten. Die Systematik des IFH KÖLN differenziert dazu noch zwischen Bürger:innen und Besucher:innen. Je nach Standort werden spezifische Zielgruppen detailliert betrachtet: Studierende, Tourist:innen, Pendelnde und weitere.
Der Abgleich der verschiedenen Perspektiven und Erwartungen deckt die Themen- und Handlungsfelder auf, die am Standort für das weitere Vorgehen relevant sind.
Planen: Einzelne Umsetzungsideen sind Teil einer ganzheitlichen Strategie! Auf Basis, der in der „Verstehenphase“ herausgearbeiteten Handlungsfelder, wird ein Ideen- und Maßnahmenkatalog entwickelt. Auch in dieser Phase werden die Menschen und Akteure vor Ort bestenfalls über Partizipations- und Teilhabeprogramme aktiv mitgenommen, um ihre individuellen Erfahrungen einfließen zu lassen. Denn: Wer Teil des Lösungsprozesses war, wird auch das Ergebnis besser stützen und zum örtlichen Botschafter für die Idee werden. Nicht zuletzt die Coronakrise hat gezeigt, dass diese partizipativen Prozesse nicht unbedingt analoge Formate wie Kreativworkshops im Rathaus oder Stadtspaziergänge mit Stakeholdern sein müssen. Ebenso möglich und vielleicht sogar wirkungsvoller ist die Umsetzung digitaler Zukunftswerkstätten. Ein Beispiel hierfür ist die „Digitale Zukunftswerkstatt“, die wir gemeinsam mit der Stadt Fulda umgesetzt haben, und die in kurzer Zeit großartige Ergebnisse lieferte.
Im Verlauf der „Planenphase“ werden entlang der sogenannten Visitor Journey – also aus Sicht der Besucher:innen und ihrer jeweiligen Besuchsprozesse – Maßnahmen so entwickelt und priorisiert, dass (Er-)Leben am Standort für die Bürger:innen schöner und einfacher wird.
Am IFH KÖLN nutzen wir das „Modell der 5 I´s“ (Information, Interaktion, Inspiration, Involvement und Identifikation mit dem Standort). Auf dieser Basis werden konkrete, praxisorientierte Ideen entwickelt. Der planerische Ideenprozess mündet in ein Pflichtenheft und ein Konzept, das gemeinschaftlich erarbeitet und mit Verantwortlichkeiten, Budgetbedarf und Organisationsempfehlungen erstellt wird. Das ist die Basis für die Strategieumsetzung vor Ort.
Machen: Erst die Strukturen, dann die Maßnahmen! Keine Strategie wird in der Umsetzung erfolgreich sein, wenn die Umfeldbedingungen nicht stimmen. Entsprechend müssen zu Beginn der „Machenphase“ die örtlichen Strukturen aufgebaut oder angepasst werden. Im Kern werden Zuständigkeiten und Aufgaben geklärt, damit die Maßnahmen vor Ort, zielgerichtet und vernetzt umgesetzt werden können.
Stehen darüber hinaus auch die vorab geklärten Ressourcen bereit, kann es losgehen. Agiert wird in kurzen Sprints. Diese sichern Agilität und sind zugleich ressourcenschonend für das gesamte Projekt. Konkret heißt das: Ideen werden im Kleinen pilotiert und erst nach Feedback und bei sichtbarem Erfolg stadtweit skaliert. Zug um Zug wird so die Gesamtstrategie realisiert.
Der Erfolg wird dabei kontinuierlich gemessen und gesteuert. Dabei fragen wir uns beispielsweise: Was sagt die Zielgruppe? Welche Metriken sind erfolgsrelevant und wie gut wurden die gesteckten Ziele erreicht? Um in der Machenphase wirklich Gas geben zu können, haben sich das IFH KÖLN und das gmvteam bereits 2018 zusammengeschlossen. Mit VITAIL – dem Kompetenzzentrum für Handel und Vitale Innenstädte setzten die Stadtmacher innovative Lösungen in den Bereichen (zunehmender) Leerstand, (fehlende) Besucherfrequenz und (abnehmende) Identifikation der Bürger:innen mit ihrer Stadt um.
Teilen: Doch was bringt Erfolg, den keiner (er)kennt? Die Motivation aufrecht zu erhalten, ist in Strategie- und Umsetzungsprozessen eine der größten Herausforderungen. Da hilft es, das bisher Erreichte sichtbar zu machen. Regelmäßige Updates aller projektbeteiligten Akteure vor Ort gehören dabei genauso zu einer „Teilen-Strategie“ dazu, wie die Information der interessierten Öffentlichkeit. Das motiviert intern und spricht im besten Fall mehr Menschen an, sich einzubringen. Diese begleitende Kommunikationsarbeit – intern wie extern – wird kanal- und medienübergreifend sowie zielgruppenspezifisch ausgestaltet. Auch hierfür haben wir am IFH KÖLN die richtigen Spezialist:innen an Bord, die im Tandem mit den Verantwortlichen vor Ort die Projektkommunikation ausgestalten.
Die Größe des Projekts ist nicht erfolgsentscheidend
So umfangreich dieser Ansatz klingt, so leicht ist er auf die Projektgröße anzupassen. Während nicht zuletzt die Coronapandemie eine umfangreiche Förderlandschaft für Vitalisierungsprojekte in Stadtzentren hat entstehen lassen, die vielen Kommunen budgetär ganz andere Möglichkeiten eröffnet als noch vor wenigen Jahren, bleiben andere Hürden wie z. B. Personalkapazitäten vor Ort bestehen. Kann in Sachen Vitalisierungsstrategie also auch klein angefangen werden? Ja! Grundsätzlich entscheidet nicht die Projektgröße über den Wirkungserfolg. Vielmehr ist es die örtliche Mitwirkungsbereitschaft der Akteure und Stadtgesellschaft sowie die Verfügbarkeit eines motivierenden Antreibers vor Ort. Dann können auch kleine Initiativen oder wenige Maßnahmen einen Wertbeitrag stiften.
Eine kommunale Digitalstrategie ist vom Budget- und Zeitaufwand naturgemäß viel umfangreicher als die Umsetzung temporärer Events oder örtlicher Installationen (z. B. Selfiepoints). Für die Wirkung – die Messbarkeit von Erfolg – ist also nicht entscheidend, wie groß eine Maßnahme ist, sondern, welches konkrete Teilziel vor dem Hintergrund der Innenstadtattraktivität erreicht wird. Einzig die Leitlinien gelten für große Vorhaben genauso wie für kleine Maßnahmen. Entscheidend ist die Besucherperspektive.
Das richtige Projekt für das richtige Ziel
Handlungsbedarf in deutschen Innenstädten gibt es viel. Aktuell sollten die Steigerung der Besuchsfrequenz, die Erhöhung der Aufenthaltsdauer und die Verbesserung der Aufenthaltsqualität im Fokus der Verantwortlichen stehen. Werden diese Teilziele erreicht, wird sich auch die Standortattraktivität insgesamt positiv entwickeln.
Direkt beeinflussen lässt sich die Standortattraktivität auch mithilfe eines gezielten Leerstands-, Ansiedlungs- und Zentrenmanagements. So vereint die digitale Webanwendung LeAn® (entstanden im Rahmen des Projekts „Stadtlabore für Deutschland“ gefördert vom Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz 08/2021 bis 12/2022) beispielsweise alle relevanten Daten für ein digitales Leerstandsmanagement und liefert durch die Anbindung von z. B. Frequenzdaten, Einkommensstrukturen, Wettbewerbsumfeld, Gesuche und Co. die Grundlage für erfolgreiche kommunal initiierte Ansiedlungen.
Um sich möglichen Handlungsfeldern zu nähern, werden neben der Bürgerperspektive auch gesellschaftliche Megatrends und besondere Standortspezifika betrachtet. Zu letzteren zählen Zielgruppen, Anlässe und Stadtfunktionen. Diese sind in einer ländlichen Kommune logischerweise andere als in einer urbanen Universitätsstadt. Entsprechend sind auch Themen wie Migration, Nachhaltigkeit, Mobilität oder Digitalisierung unterschiedlich stark ausgeprägt, sodass sich selbstredend auch die geplanten Ziele und Maßnahmen unterscheiden. Soll beispielsweise lokales Downtrading oder Verödung verhindert werden, kann das Bespielen leerstehender Flächen mit innovativen Konzepten ein Ansatz sein. So geschehen in Bremen. Während der Coronakrise wurde in der Hansestadt entschieden, zu investieren und die Zeit nach der Krise ganzheitlich vorzubereiten. Herausgekommen ist eine Strategie gegen Downtrading, bei der die Verbesserung der Aufenthaltsqualität, Frequenzsteigerung und kreative Neu-Nutzung leerstehender Ladengeschäfte im Fokus stehen. Diese Ziele wurden auch durch einen kontinuierlichen Dialog mit der Immobilienwirtschaft zu Kaufpreisen, Mieten und Nutzungskonzepten sowie durch innovative Einzelhandelsformate erreicht.
Stehen direkte Mehrwerte für die Bürger:innen im Fokus, ist beispielsweise ein digitaler Alltagsbegleiter als Teil einer Digitalstrategie eine Option.
Auch kurzfristig umgesetzte Maßnahmen können wirken. Beispiele sind Popup-Stores, Bürgerevents oder neue Ansätze für örtliche Gamification. Die Stadt Fulda hat mit vergleichsweise kleinem Budget eine digitale Zukunftswerkstatt auf die Beine gestellt, an der sich viele Bürgerinnen und Bürger und weitere Anspruchsgruppen beteiligt haben. Herausgekommen sind drei, von einer Jury prämierte, konkrete Maßnahmen, die aktuell umgesetzt werden.
Wer weitere Inspiration sucht, kann auch auf das Ergebnis der Workshop-Reihe „Ladensterben verhindern – Innenstädte beleben“ zurückgreifen. Unter Mitwirkung des IFH KÖLN wurden in drei Workshops praktische Ideen zusammengetragen und veröffentlicht.
Machen ist wie Wollen – nur krasser!
Die Zeiten, in denen aus Angst vor dem Scheitern Projekte gar nicht erst angegangen wurden, scheint vorbei. Auch in den Kommunen finden sich immer mehr Macher:innen, die auch Fehler im Prozess zulassen können. Diese Mentalität spiegelt sich auch in der Gründung und dem Erfolg von Initiativen wie „Die Stadtretter“ oder „Stadtimpulse“ wider. Das Ausprobieren und das gemeinsame Lernen voneinander stehen in den Kommunen mehr im Mittelpunkt. Damit zieht unternehmerisches Denken in die örtliche Verwaltung ein. Weniger die Einhaltung der Ordnungsvorschriften als vielmehr die Realisierung neuer Versuchsräume und Reallabore sind im Fokus und führen automatisch zu einer stärkeren Bürger- und Besucherzentrierung. „Einfach mal machen, verbessern und für die Zukunft lernen“ – unter diesem Motto ist es jetzt auch an der Zeit, agile Methoden und neue Herangehensweisen für die Stadtentwicklung zu nutzen. Mit der „Scrum-Methode“ und dazugehörigen „Sprints“ wird es einfacher möglich effizient, ressourcenschonend und iterativ Projekte voranzubringen. Dieses Mindset in der Welt von Wirtschaftsförderung, Stadtplanung und Stadtmarketing schafft dafür die Basis.
Wir sind gespannt, mit welchen Innovationen und neuen Konzepten Innenstadtlagen von morgen realisiert werden. Die durch die Coronapandemie verstärkte „Krise der Innenstadt“ führt dann vielleicht auch dazu, dass die gesellschaftlichen Zentren, die Innenstädte, eine neue, andere Entwicklungsoption erhalten – gedacht von den Bürger:innen und mit neuen Ansätzen.
So gesehen ist der vorzeitige Abgesang auf Innenstädte und Handelsstandorte zu schnell gesungen. Ich glaube fest an die lokale Transformation.