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19. Oktober 2023

Metaverse ist schon länger in aller Munde, da ist auch der Begriff des „Retailverse“ nicht weit. Was sich dahinter verbirgt und welche rechtlichen Herausforderungen und Chancen hier bestehen, erklärt uns Robert Briske, Counsel, Fachanwalt für Gewerblichen Rechtsschutz, bei unserem ECC CLUB Mitglied Osborne Clarke, im Interview.

 

Was ist unter dem Begriff „Retailverse“ zu verstehen?

Der Begriff „Retailverse“ ist angelehnt an den Begriff des „Metaverse“. Matthew Ball, ein bekannter Vordenker des Metaversums definiert das „Metaverse“ wie folgt:

Das Metaverse ist ein massiv skaliertes und interoperables Netzwerk von in Echtzeit gerenderten virtuellen 3D-Welten und -Umgebungen, die synchron und dauerhaft von einer praktisch unbegrenzten Anzahl von Nutzern mit einem individuellen Gefühl der Präsenz und mit Kontinuität der Daten wie Identität, Geschichte, Berechtigungen, Objekte, Kommunikation und Zahlungen erlebt werden können.“

Das Metaverse ist, wie das Internet, das mobile Internet und der Prozess der Elektrifizierung, ein Netzwerk von miteinander verbundenen Erfahrungen und Anwendungen, Geräten und Produkten, Werkzeugen und Infrastruktur. Beispielsweise würde auch niemand behaupten, dass Internet-Giganten wie Facebook (bzw. Meta), Google (bzw. Alphabet) oder Apple ein „Internet“ sind. Stattdessen sind sie Ziele und Ökosysteme im oder am Internet, oder sie bieten Zugang zum und Dienste für das Internet.

Jedoch existiert ein solches Metaverse noch nicht. Die erforderlichen technischen Voraussetzungen werden momentan noch entwickelt. Es ist daher eigentlich genauer von sog. Proto-Metaversen zu sprechen. Ein Beispiel für ein Proto-Metaversum ist das 2003 gestartete Online-Spiel „Second Life“.

Wie passen Retailer in dieses Konzept? Mit dem Retailverse können Einzelhändler ihrem Publikum ein ähnliches Erlebnis wie in einem realen Einkaufszentrum bieten, in dem die Nutzer:innen sich unterhalten, spielen (Stichwort: „Gamification“), Inhalte austauschen und entdecken, mit Marken in Kontakt treten und virtuell einkaufen können. Dabei gibt es meines Erachtens mindestens zwei Ökosysteme des Retailverse: ein rein digitales Retailverse, in welchem die Kund:innen mit virtuellen Avataren virtuelle Güter einkaufen können und ein in realen Ladengeschäften und Einkaufscentern mit „Augmented Reality“ verbundenes Retailverse. Letzteres kann z. B. durch Smartphones oder „Smart Glasses“ wahrgenommen werden, während man sich in den realen Geschäften bewegt.

Welche rechtlichen Herausforderungen bestehen beim Verkauf von digitalen Produkten im Retailverse?

Eine der größten rechtlichen Herausforderungen des im Metaverse angesiedelten Retailverse ist die Frage des anwendbaren Rechts. Ein solches Retailverse ist strukturell nicht an nationale Grenzen gebunden. Das insoweit einschlägige internationale Privatrecht hat bereits Probleme, mit Internetsachverhalten vorhersehbar und interessengerecht umzugehen. In einem komplett dezentralen, möglicherwiese sogar weltweit einheitlichen Meta- bzw. Retailverse müssen sachgerechte Lösungen erst noch entwickelt werden.

Eine weitere Ebene kommt noch durch die Nutzung von (anonymen) Avataren hinzu, da eine Klarnamenpflicht kaum durchsetzbar sein wird.

Zudem stellen sich diverse verbraucherschutzrechtliche Themen, da Verträge im Retailverse zugleich Fernabsatzverträge und Verträge im elektronischen Geschäftsverkehr sind. Wie die vielfältigen und detaillierten Verbraucherinformationspflichten (auch noch in der passenden Sprache) in einem dezentralen und von nationalen Grenzen losgelösten Raum erfüllt werden sollen, wird die Gerichte sehr lange beschäftigen. Gerade zwingendes EU-Verbraucherschutzrecht soll nach internationalem Privatrecht auch dann anwendbar sein, wenn die Parteien ein anderes Recht, z. B. das der USA, gewählt haben.

Wie können Unternehmen ihre Marke im digitalen Raum schützen?

Retailer verfügen in der Regel über hinreichenden Markenschutz für physische Gegenstände und Einzelhandelsdienstleistungen. Lückenhaft wird der Markenschutz dann, wenn man entweder aktiv im Metaverse digitale Produkte analog zu den eigenen physischen Produkten vertreiben will, z. B. digitale Kleidung für den Avatar, wenn man sonst Bekleidung für echte Menschen verkauft. Abgesehen von bekannten Marken genügt der Markenschutz für Bekleidung nicht auch für digitale Bekleidung. Dementsprechend müsste man für derartige Fälle neue Marken für die digitalen Produkte anmelden.

Was nun, wenn man im Retailverse gar nicht tätig sein will? Auch dann sollte man sehr stark über Markenschutz für digitale Produkte nachdenken, da ansonsten Anmeldungen von Trittbrettfahrern und Markentrollen drohen. Diese könnten sich dann die lukrativen Claims im Metaverse markenrechtlich abstecken und spätere Markteintritte der Retailer erschweren. Eine solche Defensivmarke kann man sich auch bei nicht geplanter Nutzung für die ersten fünf Jahre sichern. Anschließend wäre eine solche ungenutzte Marke löschungsreif.

Schließlich stellt sich auch hier die Frage, für welche Jurisdiktionen die Marke für digitale Produkte angemeldet werden soll. Durch die fehlende Lokalisierung stellen sich auch insoweit diverse Fragen des anwendbaren Rechts. Rein vorsorglich sollte man daher für alle geschäftlich relevanten Jurisdiktionen diese neuen Marken anmelden, um Angriffe von Markentrollen einstweilen zu verhindern.

Welche rechtlichen Vorgaben werden die aktuellen Entwicklungen im E-Commerce voraussichtlich noch hervorbringen, worauf müssen Unternehmen sich hier einstellen?

Angesichts der oben geschilderten Probleme um anwendbares Recht, Vertragsrecht und Verbraucherschutz ist es durchaus denkbar, dass die Betreiber des Retailverse stärker in die Verantwortung zur Rechtsdurchsetzung genommen werden. Erste Ansätze dafür finden sich schon im Digital Services Act und im Digital Markets Act der EU. Durch diese werden Vermittlungsplattformen und „Torwächter“ stärker in die Verantwortung genommen und ihnen teilweise sogar streitschlichtende Aufgaben übertragen. Der Händler bzw. die Plattform wird so perspektivisch in eine Schiedsrichterrolle gezwungen.

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