„In den Abgesang auf die Innenstadt stimmen wir nicht mit ein“ – Ute Marks im Stadtlabore-Interview
Ute Marks bringt durch ihre Tätigkeit bei Stadt + Handel Beckmann und Föhrer Stadtplanungsspezial-Know-how mit in ihre Beiratstätigkeit für die „Stadtlabore für Deutschland: Leerstand und Ansiedlung“. Von dem „Versuch“ in den Stadtlaboren verspricht sich die gelernte Biologin einen experimentellen Ansatz neue Wege zu gehen. Woran es aus ihrer Sicht aktuell krankt und warum neue Wege nötig sind, haben wir die „passionierte Beachflag-Gegnerin“ im Interview gefragt.
Wieso ist es in Deutschland so schwierig, Innenstädte abseits von Leuchtturmprojekten nachhaltig neu zu gestalten?
Wenn man mal Vorurteile bemühen möchte, dann sind wir Deutschen ja nicht dafür bekannt, dass wir eine unkonventionell denkende, spontane und mit Mut zum Experiment ausgestattete Natur haben. Wir lieben Strukturen und deren Einhaltung, Beständigkeit bis hin zur Langeweile. Corona hat uns da alle deutlich aus der Komfortzone geholt. Schnell und anders denken war plötzlich die Maxime. Wir hoffen, dass wir diesen Aufbruch in den Taten und in den Köpfen bewahren können. Denn nach der Pandemie kommen sicher andere, die Zukunft entscheidende Themen, wie z. B. der Klimawandel, dem sich die Innenstädte stellen müssen. Den sich schneller verändernden Bedingungen müssen aber auch die rechtlichen Rahmenbedingungen folgen. Dreißigjährige Veränderungssperren auf Projekte der Städtebauförderungen sind 2022 einfach nicht mehr zeitgemäß und legen selbst den Kommunen, die sich für die Zukunft rüsten wollen, Handschellen an. Und zum Stichwort „Leuchttürme“ – verglichen mit städtebaulichen Entwicklungen im Ausland etwa in Asien oder auch den skandinavischen Ländern kann ich bei uns keinen einzigen Leuchtturm erblicken!
Worüber stolpern motivierte Umsetzer:innen in der Praxis am häufigsten?
Es mangelt an Mut! Und es mangelt an einem Umgang miteinander, der auf Augenhöhe stattfindet. Die Politik hat Angst vor dem Bürger, der Bürger findet „die da oben machen eh alles falsch“ und die Verwaltung agiert ganz häufig noch nach dem Motto, „was nicht auf meinem Schreibtisch liegt, geht mich nichts an.“ Dieses Gegeneinander – gerne befeuert durch die Schlammschlachten in den sozialen Medien – lähmt den Erneuerungsprozess. Dabei gibt es überall die Aktiven, die Kreativen, die Selbstlosen, die sich auch ehrenamtlich für eine bessere Welt und damit auch für eine bessere Lebenswelt in den Innenstädten einsetzen. Unsere Aufgabe ist neben der fachlichen Beratung die Schaffung von Kommunikationsstrukturen und eine Rollenklärung der Akteurinnen und Akteure. Und die Vermittlung, dass es sich nicht um ein Projekt, sondern um einen Prozess handelt – der gerade bei unseren Ausgangsvoraussetzungen manches Mal einen langen Atem verlangt.
Müssen Städte der kommerziellen Dominanz in ihren Zentren begegnen und was sind Alternativkonzepte?
Wir stimmen nicht in den allgemeinen Abgesang auf die Innenstädte mit ein! Wir sehen die Innenstädte als einen Vermögenswert: ökonomisch, ökologisch, kulturell, sozial und emotional. Vielleicht werden die Gewichtungen in der Zukunft verschoben. Die Hoffnung ist ja, dass Innenstädte wieder mehr zulassen als nur den Handel. Wohnen, Kultur erleben und auch die Rückkehr von Handwerk und Produktion schweben vielen Akteur:innen vor. Aber dazu ist es auch notwendig, bestimmte Rahmenbedingungen zu ändern. Ich nenne als Stichwort nur die TA Lärm*!
Was können wir von Städten im Ausland lernen?
Ich lebe ja nicht unweit der niederländischen Grenze. Hier hat Nijmegen schon vor Jahren den LKW-Lieferverkehr aus der Innenstadt verbannt. Es muss in kleinere Transporter umgepackt werden. Bei uns doch undenkbar, oder? Das man etwas vorschreibt, was die Wirtschaft möglichweise ärgern würde. Auch die Umnutzung von leerstehenden Ladenlokalen lässt sich oft unbürokratischer umsetzen. Und für Stadtmarketer war die Entscheidung von Maastricht – übrigens mindestens schon zehn Jahre her – Außenwerbung stark zu reglementieren und Stellagen u. ä. völlig aus dem öffentlichen Raum zu verbannen, der Grund für zahlreiche Pilgerreisen. Leider meist ohne den Erfolg, es in der eigenen Stadt umsetzen zu können.
*Technische Anleitung zum Schutz gegen Lärm