Viele Unternehmen sind auf der Suche nach passenden Talenten, bedienen sich dabei aber veralteter Prozesse. Alexandra Kammer, Head of Diversity Management unseres ECC CLUB Mitglieds Aivy, erklärt im Interview die was es Unternehmen bringt, die individuellen Stärken ihrer Bewerber:innen im Blick zu haben.
Wie können unentdeckte Potenziale auf dem Arbeitsmarkt erschlossen werden?
Ganz einfach: Indem wir Stärken sichtbar machen!
Was sehen wir gerade? Lebenslauf, Zeugnisse und vielleicht eine Arbeitsprobe. Das ist die Spitze des Eisbergs und bezieht sich häufig auch nur auf vergangene Leistung. Diesen Unterlagen fehlt die Vorhersagekraft für Arbeitserfolg- und -zufriedenheit, besonders in einer Arbeitswelt, in der sich Arbeitsinhalte ständig ändern. Psychologische Eignungsdiagnostik macht individuelle Stärken sichtbar. Das bedeutet, nicht nur die Persönlichkeit, sondern auch emotionale Intelligenz, kognitive Fähigkeiten oder die Herangehensweise an Planung- bzw. Problemlösung, können übermittelt werden. Auch Cultural Fit und Verteilung der beruflichen Interessen gehören dazu.
Was muss sich deiner Ansicht nach am bisherigen Recruitingprozess ändern und warum?
Wenn wir auf die Forschung hören, dann einiges! Das Bauchgefühl spielt uns oft noch den ein oder anderen Streich. Im Recruiting sollte es doch um Passung gehen und die können wir als Menschen anhand von Lebenslauf oder Noten einfach nicht objektiv einschätzen. Das führt dazu, dass in Deutschland jährlich 25 Milliarden Euro an Kosten für Fehleinstellungen entstehen (Bund der Personalberater, 2022). Das ist nicht nur finanziell eine Katastrophe, sondern auch menschlich. Denn so hat man gerade ein potenzielles Teammitglied, Konsument*in und Evangelist auf einmal verloren.
Du hast gerade den Lebenslauf angesprochen: Wo kommen traditioneller Lebenslauf und Bewerbungsschreiben zur heutigen Zeit an ihre Grenzen?
Die kurze Antwort: Sehr schnell. Die lange Antwort: Traditionelle Bewerbungsunterlagen sind hilfreich, aber nicht ausreichend. Ein Bewerbungsschreiben soll die Motivation, der Lebenslauf die Erfahrung des Talents zeigen. Für ersteres gibt es zahlreiche Automatisierungstools und zweiteres kratzt nur an der Oberfläche. Gleichzeitig enthält der Lebenslauf viele "Fallen", denn es bestehen viele Mythen darum, was einen Lebenslauf "gut" macht. Weshalb oft die passenden Kandidat*innen, teilweise unbeabsichtigt, vorschnell aussortiert werden.
Was ist zum Beispiel mit Care Arbeit? Elternzeit ist doch ein klares Zeichen für Belastbarkeit, Empathie und Krisenmanagement. Unsere Partner*innen sagen beispielsweise, dass sie eine Stelle mit einer Person neu besetzt haben, die sie normalerweise anhand des CVs aussortiert hätten. Nun arbeitet diese Person dort und das Unternehmen ist richtig zufrieden mit ihr. Wir wünschen uns mehr von diesen Erfolgen!
Warum ist es für Unternehmen wichtig sich mit Diversity zu befassen?
Da kommt natürlich der Business Case for Diversity in den Kopf: Diverse Teams sind bis zu 36% profitabler (McKinsey, 2020). Auch im War for Talents wird damit argumentiert, denn laut einer Stepstone Studie ist ganzen 76% der Befragten ein diverses Umfeld wichtiger, als ein hohes Gehalt.
Ich sage aber an dieser Stelle gerne, wir sollten kein Preisschild daran hängen, Menschen gut zu behandeln. Diversität ist ein Fakt, dessen Management erfolgsentscheidend. Wer das nicht begreift, verliert langfristig an Wettbewerbsfähigkeit.
Wie gehen Unternehmen das richtig an, um wettbewerbsfähig zu bleiben?
Da spreche ich für meinen Bereich der Expertise: HR. Diversitätmanagement beginnt mit objektiver Personalauswahl. Besonders in diesen Prozessen begegnen wir unbewusster Voreingenommenheit und stehen ungewollt dem Aufbau von Diversität im Weg. Wenn objektiv eingestellt wurde, geht es weiter mit stärkenbasiertem Talentmanagement zur Beförderung und Weiterentwicklung von Menschen auf Basis dessen, wer sie sind und was sie mitbringen. So landen Menschen in den passenden Perspektiven und können ihr Potenzial entfalten. Das führt wiederum zu gesteigertem Unternehmenserfolg!