Letzte Woche war es wieder soweit: Mit dem Deutschen Handelskongress fand zum Jahresausklang die wichtigste Branchenveranstaltung in Berlin statt – und dies bereits zum 25. Mal. Zu keiner Veranstaltung passt auf den ersten Blick das Wort traditionell besser und dies aus gutem Grund: Nicht nur die Großen des deutschen Handels, sondern gerade auch der Mittelstand, der oftmals mit fehlenden Ressourcen zu kämpfen hat und daher in puncto Digitalisierung häufig noch einen weiteren Weg gehen muss, erhält dort wichtige Impulse für die Digitale Transformation. Zudem gilt es, die Sichtbarkeit bei der Politik zu halten und für den Handel relevante Themen zu platzieren.
Digitale Transformation, Digitale Strategien, Customer Centricity
Natürlich fielen auch beim Handelskongress die zentralen Schlagwörter, die man zurzeit überall hört: Digitale Transformation, Digitale Strategien, Customer Centricity. Letztendlich sind dies die Themen, die auch in den letzten Jahren schon diskutiert wurden – denn Digitalisierung muss auch erstmal umgesetzt werden und dies dauert (leider). Gleiches gilt für die Kundenzentrierung. Dass in diesem Punkt noch viel zu tun ist und in der Realität aktuell viele Angebote am Kunden vorbeilaufen, verdeutlichte Dr. Kai Hudetz aus unserem Haus in seinem Vortrag im HDE Digital Forum sehr eindrucksvoll.
Innovationspreis für Nachhaltigkeit
Obwohl die Digitalisierung also erneut und wenig überraschend eines der zentralen Themen war, muss eine Differenzierung doch jenseits davon stattfinden. Denn – so schmerzhaft es auch ist: Digitalisierung ist Hygiene, die Basis für jedes Unternehmen. So war es auch sehr erfrischend zu sehen, dass der Innovationspreis des Deutschen Handelskongresses an Hieber‘s Frische Center für Konzepte zum nachhaltigen Umgang mit Lebensmitteln geht – und dies bei starker Konkurrenz. Hiebers Mehrwegsystem setzt auf mitgebrachte Frischebehälter und mit einem Foodsharing-Konzept werden nicht verkaufte, aber noch taugliche Lebensmittel für Bedürftige gratis zur Verfügung gestellt.
Im Anschluss an die Preisverleihung wurde heftig darüber diskutiert: Darf ein solches Konzept 2017 einen Innovationspreis bekommen? Meine Antwort ist ja, auch wenn der Abstand – gerade zum digitalen Bilderrahmenkonzept des Werkladens Conzen – nicht so groß gewesen sein dürfte und von einem durch die Digitalisierung erschöpften Publikum zeugte. Aber wie Stephan Tromp vom HDE auf den Punkt brachte: „Innovation ist eben nicht nur Digitalisierung. Nachhaltigkeit entscheidet über die Zukunft unseres Planeten.“ Voraussetzung, dass ein Unternehmen aber eine Zukunft hat, ist die Digitalisierung, eine Differenzierung über solche Konzepte ist dann aber genau der richtige Weg.
Digitale Trends differenziert betrachten
Dass es eine große Gefahr ist, sich in der Vielfalt der technischen Möglichkeiten zu verlieren, hat nicht nur Olaf Schlüter auf unserer Faszination Handel klar auf den Punkt gebracht, sondern auch Prof. Dr. Timm Homann von der EHG Service GmbH bei der Annahme des Preises für Ernsting’s Family in der Kategorie „Großunternehmen“: Es gibt viele digitale Trends, aber die Herausforderung ist es, auf die zu verzichten, die keine Wertschöpfung bringen. Jedes Unternehmen muss letztendlich für sich abwägen, was seiner Zielgruppe Mehrwerte bringt und wovon man lieber die Finger lassen sollte.
Was Mehrwerte bringt und was nicht, verändert sich dabei fortlaufend: Pieter Haas von MediaMarktSaturn sprach in seinem sehr eindrucksvollen Vortrag vom „Phono Sapiens“, der einen Teil des Hirns auf das Smartphone verlegt hat. Damit müssen Händler aus seiner Sicht auch ganz andere Anforderungen erfüllen: Niemand braucht mehr einen Anbieter, der ihm schlicht Produkte bringt, sondern einen, der sein Leben vereinfacht und Lösungen zur Verfügung stellt. Dadurch wird auch noch einmal deutlich, warum ein Händler 2017 mit Tupperdosen punkten kann: Es ist auch Tradition und Sicherheit in einer digitalen, sich permanent wandelnden Welt, in der alte Werte wieder eine ganz neue Relevanz erlangen.
Mit seinen Themen sowie vor allem den Gesprächen und dem Austausch am Rande hat der Handelskongress somit wieder viele relevante Anstöße gegeben. Dabei ist ein Überleben in dieser Welt für Händler nur mit Kooperation und Mut möglich. Diesen Mut gilt es jeden Tag auf’s Neue von allen beteiligten Stakeholdergruppen zu beweisen. Wenn althergebrachte Denkmuster nicht aufgebrochen werden, ist der Standort Deutschland nicht für eine digitale Welt gerüstet.