Kundenzufriedenheit wird – nicht zuletzt aber gerade auch – in Krisenzeiten immer wichtiger. Michaela Wittmann, Director of Sales DACH bei unserem ECC Club Mitglied Alektum, erzählt uns im Interview wie das eher unbeliebte Thema Forderungsmanagement Kundenbindung sogar steigern kann.
Macht sich die wirtschaftliche Situation deiner Erfahrung nach im Bezahlverhalten bemerkbar?
Die Zahl der von uns bearbeiteten Inkassofälle ist erheblich gestiegen. Wir führen mittlerweile jährlich mehrere Millionen Aktivitäten durch. Der DSO (day sales outstanding), das heißt die Anzahl der Tage bis zum Zahlungseingang hat sich europaweit erhöht. Hier ist es nun besonders wichtig eine starke Bindung zu den Kund:innen aufzubauen, um einerseits die Liquidität, andererseits aber auch die Wiederkaufsrate zu sichern.
Aber Inkasso und Kundenbindung – wie passt das zusammen?
Eine offene Forderung ist zwar unangenehm, aber noch lange kein Grund die Customer Journey enden zu lassen. Versteht man eine offene Forderung als Chance, um mit den Kund:innen aktiv in Kontakt zu treten und niemals als Ende einer Kundenbeziehung, so steigert dies die Kundenqualität und Wiederkaufsrate. Dabei ist es wichtig, den Konsument:innen die bestmögliche Erfahrung zu bieten. Daher sollte an allen Touchpoints zu den Kund:innen stets personalisierte Lösungen und Erfahrungen angeboten werden. Werden Konsument:innen mit dem richtigen Medium zum richtigen Zeitpunkt und in der richtigen Tonalität angesprochen, erhöht das nicht nur die Zahlungsaussicht sondern unterstützt auch den Kundenservice.
Das klingt grundsätzlich nachvollziehbar, aber wie lässt sich das konkret in der Realität umsetzen?
Die Voraussetzung ist das Wissen über die Kund:innen. Je mehr Daten vorliegen und je besser die Daten verknüpt werden, umso mehr kann man auf individuelle Bedürfnisse eingehen. Ein datengestütztes Forderungsmanagement ist das A und O. Künstliche Intelligenz und systematisch strukturierte Zahlungs- und Verhaltensdaten ermöglichen hochgradig individualisierbare Aktionspläne und Vorgehensweisen. Diese werden während des gesamten Prozesses analysiert, um gegebenenfalls die Herangehensweise zu ändern. Aspekte wie Tonalität, Kommunikationspläne und Bezahlmethoden werden individuell entlang der jeweiligen Customer Journey gewählt. Mit dieser persönlichen Herangehensweise können ethisch korrekte und respektvolle Inkassoprozesse gewährleistet werden. Grundsätzlich ist zu sagen, dass das, was für das Kauferlebnis im Online-Shop gilt, auch auf den gesamten Bezahlprozess umzulegen ist: Perfekte Personalisierung und die richtigen Inhalte zur richtigen Zeit über das richtige Medium.
Dabei hat sich der Inkassopartner aber auch an das Tempo und die Einstellung seiner Kund:innen anzupassen. Handelt es sich beispielsweise um einen Online-Händler, der vor allem eine junge Zielgruppe auf modernen Kommunikationskanälen und mit innovativen Bezahlmethoden anspricht, so soll diese auch im Inkassoprozess gleich wie in der Customer Journey zeitgemäß abgeholt werden.
Der Erfolg liegt dabei im Detail: Wann, wie und womit kommuniziert wird, entscheidet, ob eine Forderung erfolgreich beigetrieben wird. Deckt der Inkassopartner mögliche Störprozesse oder Reklamationspotenzial auf, hilft dies dem e-Commerce- Unternehmen das Portfolio und die Prozesse zu optimieren und somit in weiterer Folge die Kundenbindung und die Wiederkaufsrate zu steigern.
Das heißt Forderungsmanagement bedeutet mehr als Personas und fix definierte Abläufe zu erstellen und somit große Mengen an offenen Forderungen auf die gleiche Weise abzuwickeln?
Absolut. Mit der beschriebenen Vorgehensweise kann ein Beitrag zu einer gesünderen Gesellschaft geleistet werden. Angesichts der zunehmenden Verschuldung kommt Inkassounternehmen dabei eine wichtige Rolle zu, den Menschen ein Leben zu ermöglichen, das sie sich leisten können. Das Ziel sollte sein, Menschen dabei zu unterstützen eine Balance in ihren privaten Finanzen zu schaffen. Niemand profitiert von unbezahlten Schulden, weder
Schuldner noch Händler noch wir als Inkassounternehmen. Durch unbezahlte Rechnungen verliert die Gesellschaft nicht nur Geld, sondern vor allem auch Vertrauen. Dem soll durch die beschriebene Vorgehensweise entgegengewirkt werden.
Was kann ein Inkassobüro noch beitragen?
Wie bereits erwähnt hat ein Inkassounternehmen eine gesellschaftliche Verantwortung zu tragen. Ethisch korrekte und respektvolle Inkassoprozesse können Schuldner:innen in einer prekären Situation unterstützen. Wichtiger ist es jedoch schon viel früher anzusetzen – und zwar beim grundlegenden Umgang mit Finanzen.
Immer mehr Menschen mangelt es an Finanzwissen. Um dem entgegenzuwirken, müssen bereits Kinder spielerisch auf das Thema „bewusster und nachhaltiger Umgang mit den eignen Finanzen“ vorbereitet werden. Die Finanzbildung beginnt bereits bei den Eltern. Hier wird langfristig der Grundstein dafür gelegt, dass künftige Generationen klügere wirtschaftliche Entscheidungen treffen können und damit die vorherrschende Überschuldung der Gesellschaft gebremst wird.
Ein Inkassounternehmen kann dies aktiv durch entsprechende Initiativen unterstützen. Mit Wirtschafts- und Verhaltenswissenschaftlern können Anleitungen, solide Tipps und Inspirationen erstellt werden, um beide – Eltern und Kindern – zu einem gesunden Umgang mit Geld zu animieren.