Wie attraktiv sind deutsche Innenstädte? Dieser Frage gehen unsere Stadt-Experten vom IFH KÖLN Dr. Markus Preißner und Boris Hedde alle zwei Jahre in unserer Flagship-Studie VITALE INNENSTÄDTE, Europas größter Passantenbefragung, nach. Mit spannenden Zeitreihen können wir nachverfolgen, wie sich der Blick auf die Innenstädte verändert hat – gestern, heute und zukünftig.


Markus, du hast als wissenschaftlicher Leiter die VITALEN INNENSTÄDTE genau im Blick. Was war bei den diesjährigen Ergebnissen für dich besonders spannend?
Markus: Vieles! Vor allem aber gilt es herauszustellen, dass der Status quo nicht so schlecht ist, wie alle Negativ-Headlines der letzten Monate – viele Insolvenzen großer Innenstadtfilialisten – zu vermuten ließen. Die Durchschnittsnote, die Passantinnen und Passanten den Innenstädten geben ist eine 2,5, also eine Zwei Minus. Diese Note ist seit unseren letzten beiden Befragungszeiträumen 2020 und 2022 gleich geblieben – und also nicht schlechter geworden. Trotzdem ist da natürlich Luft nach oben! Um dies erfolgreich zu realisieren, werden wir örtlich noch stärker zwischen Basis- und Attraktivitätsfaktoren differenzieren müssen.
Und was betrifft das? Was wird denn am stärksten bemängelt, wo müssen Städte ran?
Markus: Zuallererst ist es wichtig zu verstehen, dass es in Innenstädten nicht mehr einzig um allein um Handel bzw um Shopping geht. In Zeiten des Onlinehandels – immerhin sind heute 79 Prozent der Innenstadtbesucher:innen auch Onlineshopper:innen – werden viele Käufe im Netz getätigt. Der stationäre Handel muss also heute eine ganz andere, breitere Funktion erfüllen. Multifunktionalität ist das Zauberwort! Von den verschiedenen Funktionen und Besuchsanlässen, die eine Stadt erfüllen soll, gibt es aktuell den größten Ausbaubedarf bei Kultur- und Sport- bzw. Freizeitangebot.
Ihr habt ja in der Studie auch ganz explizit gefragt, welche Maßnahmen Besucherinnen und Besucher am relevantesten einschätzen, um Innenstädte attraktiver zu machen. Ganz oben an steht da die Problematik um Leerstand. Die Auseinandersetzung damit bzw. der Umgang mit Leerständen in innerstädtischen Lagen ist bekanntlich ein Herzensthema von dir, Boris.
Boris: Ja, in den letzten Jahren – und vor allem seit Corona – wird das Thema von leerstehenden Ladenlokalen in Innenstädten immer präsenter. Vor allem weil wir hier oft einen Ping-Pong-Effekt beobachten: Leerstände wirken unattraktiv, ziehen weniger Menschen an und so folgt auf ein leerstehendes Ladenlokal oft noch ein zweites und drittes usw. Wie dem aber entgegenwirken? Dass Mieter wechseln, ist normal, ein längerfristiger Leerstand aber nicht. Deshalb muss strategisch entschieden werden, was in der betreffenden Lage und am Standort Sinn macht – und zwar nicht nur, wer die höchstmögliche Miete zahlen kann, sondern vor allem mit Blick darauf, was die Passantinnen und Passanten eigentlich wollen.
Wie kann eine Stadt bzw. die betreffenden Steakholder das denn aber wissen?
Boris: Die eine Antwort für alle gibt es nicht. Da geht es vor allem darum individuell hinzuschauen und das kann ganz verschieden aussehen. In Homburg an der Saar bespielen wir gerade einen Leerstand mit Angeboten für Jugendliche, denn daran hat es dort gefehlt. In Trier geht es darum, mit einem aktiven Innenstadtmanagement lokal zu punkten, wo wir gegenwärtig aktiv betreuen. In Karlsruhe geht es um Konzepte, die ganzheitlicher aufgestellt als Ergänzung in der Innenstadt wirken sollen. Um es Städten aber generell einfach zu machen, haben wir vor zwei Jahren die Plattformlösung LeAn ins Leben gerufen, die zukünftig sicherlich für einige Städte mehr interessant wird, weil der Fokus dort klar auf Ansiedlungs- und Zentrenmanagement liegt.
Der Fokus der VITALEN INNENSTÄDTE 2024 lag also vor allem auf den Themen Aufenthaltsqualität und Leerstand. Was gehört zu einer guten Aufenthaltsqualität?
Markus: Da gibt es je nach Altersgruppe andere Fokusthemen, aber in allen Ortsgrößenklassen ist gut daran getan, die Infrastruktur zu stärken. Also den Aufenthalt so bequem wie möglich machen: Das fängt bei der Anreise an – es braucht sowohl Parkplätze als auch ÖPNV-Anbindung – geht über die Ausgestaltung mit Grünflächen etc. bis hin zum großen Pain-Point-Thema in vielen Zentren: Toiletten.
Boris: Aber wo dann eine Stadt an der Aufenthaltsqualität schrauben kann, ist natürlich auch individuell. Wir sehen in der aktuellen Befragung, dass vor allem Gastronomie als Besuchsanlass für Städte wichtiger wird. Eine Innenstadt, in der es also noch nicht viel innerstädtische Gastronomie – oder nur Ketten – gibt, ist gut beraten, hier nachzurüsten. Wie gesagt: Jede Stadt ist anderes, braucht anderes, funktioniert anders. Das wird leider auch auf Kostenseite Wirkung haben. Damit verbunden wird es für die Zukunft sicher auch eine wichtige Frage sein, wie wir Innenstadt finanzieren können und wollen. Wir am IFH KÖLN glauben fest daran, dass nachhaltige Stadtentwicklung mit einer funktionierenden lokalen Wirtschaft und investorengestützt funktionieren muss. Wie genau, das wird sich in den nächsten Jahren zeigen.
Ein schönes Schlusswort. Wir werden von den Ergebnissen der Studie in den kommenden Monaten ja aber noch einiges hören. Ab März gehen wir in einer Blogserie auf einzelne Handlungsempfehlungen ein.
Die gesamte Studie gibt es bei uns im Shop.
Boris Hedde & Dr. Markus Preißner
Boris Hedde ist seit 2009 Geschäftsführer am IFH KÖLN. Zu seinen Schwerpunktthemen zählen Markt- und Kundenanalysen, Handel im digitalen Zeitalter und (kommunaler) Strukturwandel.
Dr. Markus Preißner ist Wissenschaftlicher Leiter am IFH KÖLN. Zu seinen Fokusthemen zählen Analysen zur Kundenzufriedenheit, unternehmerischer und struktureller Wandel sowie die Vitalität der Innenstädte im digitalen Zeitalter.
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