Vom Corona-Turbo ist vielfach im Kontext der Digitalisierung die Rede. Unternehmen mit hohem Onlineanteil konnten während der Pandemie ihre Kund:innen weiterbedienen – nur über einen anderen Kanal, der Rest ächzte. Der Onlinegigant Amazon hat seine Versorgerrolle ausgebaut und die Amazonisierung des Konsums in Rekordsprüngen weiterverfolgt. Und doch bleibt die Digitalisierung nicht die einzige zu meisternde Herausforderung, die pandemiebedingt einen Schub erfahren hat. Gleiches gilt für das Thema Nachhaltigkeit, welches für viele Unternehmen aufgrund der Vielschichtigkeit und Komplexität noch schlechter fassbar ist, und das nur selten im Zusammenhang mit dem eigenen Geschäftsmodell gesehen wird. Schauen wir uns die Dynamik einmal an.
Neu ist das Thema Nachhaltigkeit bei weitem nicht – auch nicht im Handel. Durch die Pionierarbeit der Ökobewegung in den 80er Jahre zeichnet sich beispielsweise die Vorreiterbranche Lebensmittel durch unterschiedlichste Ansätze in der Breite aus. Trotz ihrer Vorreiterrolle hat aber auch die Lebensmittelbranche die Tiefe des Themas noch nicht ganzheitlich durchdrungen und auch zwischen den Unternehmen besteht aus Konsumentensicht eine große Spannweite. Branchenspezifisch ist das Bild sehr divers. Nachzüglerstatus generell hat die Fashionbranche: Erst wenige Nachhaltigkeitsansätze existieren in der Breite und nicht zuletzt die Produktionsbedingungen machen sie zur „schmutzigsten“ Industrie in puncto Nachhaltigkeit. Gleichwohl auch unter den Unternehmen der Fashionbranche eine große Streuung zu beobachten ist.
Coronaturbo für Nachhaltigkeit
Globale Aufmerksamkeit erhielt das Thema Nachhaltigkeit durch die „Fridays for Future“-Bewegung. Ein Bewusstsein für Umwelt, Ressourcen und Menschen breitete sich immer stärker aus – dann kam die Pandemie und der Turbo wurde gezündet. Schlagartig wurden die weltweiten Zusammenhänge und Abhängigkeiten sichtbar, sodass das Bewusstsein eine neue Dimension erreichte. So ist im vergangenen Jahr nicht nur der Onlinehandel so stark gewachsen wie sonst in drei Jahren, sondern auch der Umsatz für Biolebensmittel – der am weitesten verbreitet Ansatz in Sachen Nachhaltigkeit im Lebensmittelbereich. Gleichzeitig hat sich laut Bundesernährungsministerium auch der Anteil an Vegetarier:innen und Veganer:innen verdoppelt, während der Fleischabsatz immer weiter sinkt.
Die Dynamik im Feld Nachhaltigkeit zeigt sich auch in weiteren Ansätzen und Maßnahmen: Secondhandplattformen schließen große Finanzierungsrunden ab und Big Player des Modebusiness wie Zalando und AboutYou erweitern ihr Geschäftsmodell um Secondhandangebote. Ansätze für Kreislaufwirtschaft werden ausgebaut, Einwegplastik wurde verboten und neue Materialien kommen zum Einsatz. Auch wenn die Diskussionen um CO2-Vermeidung und das Lieferkettengesetz dem komplexen und schlecht greifbaren Thema konkretere Anpackmöglichkeiten gibt, wird das Thema im Handelsbereich größtenteils von Start-ups besetzt. Nur wenige etablierte Händler haben ihre Geschäftsmodelle bisher konsequent und ganzheitlich an Nachhaltigkeitskriterien ausgerichtet.
Keine Haltung ist auch keine Lösung
Wie geht es nun weiter? Die Relevanz des Themas ist da und wird weiter zunehmen. Konsumverzicht ist bereits für ein Drittel der Konsument:innen eine adäquate Reaktion. Die Parallele zum Onlineboom: Das Onlinewachstum wird mittlerweile nicht mehr nur von wenigen Early Adoptern unter den Handelsunternehmen wahrgenommen – es wird (fast) überall an den eigenen zukunftsfähigen Geschäftsmodellen gearbeitet. Diese Änderung des Mindsets braucht es auch beim Thema Nachhaltigkeit.
Trotz der sprunghaften Bedeutungszunahme und den vielen bereits existierenden Ansätzen, fliegt das Thema Nachhaltigkeit bei den Unternehmensverantwortlichen noch unter dem Radar. Bleibt das so, werden die Auswirkungen verpasster strategischer Adaptionen gravierender als die Folgen der Digitalisierung sein. So gilt es vom traditionellen Wertschöpfungsdenken, bei dem auf die Vergrößerung der Gewinnspanne gesetzt wird, abzurücken und durch eine Fokusverlagerung auch das Umfeld einzubeziehen und als Basis des Handelns zu verstehen.
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