Der stationäre Einzelhandel wird aktuell mit vielen Herausforderungen konfrontiert: hohe Inflation, steigende Mieten und weiterhin Konsumflaute. Wie Fashion-Händler mit dem gezielten Einsatz von Order Management Bestände optimieren, dabei die Zufriedenheit der Kund:innen erhöhen und Kosten einsparen können, erläutert Linda Kuhr, Gründerin und Geschäftsführerin unseres ECC CLUB Mitglieds fulfillmenttools im Interview.
Was verbirgt sich hinter der Disziplin “Order Management”?
Order Management ist das Rückgrat eines jeden eCommerce-Geschäfts. Es ermöglicht es Händlern, den Lebenszyklus einer Bestellung zu managen und zu optimieren. Hier geht es um Prozesse wie die Erfassung, Verarbeitung, Überwachung und Ausführung von Bestellungen von Endkund:innen. Ein OMS ist zum einen die zentrale Sammelstelle aller Bestellungen, unabhängig vom Vertriebskanal, und ermöglicht zum anderen die Verknüpfung
mit den Orten, von denen die Ware verschickt wird. Dazu zählen Stores, Lager, Dark Stores oder auch externe Dropshipper.
Außerdem kann ich mit einem Order Management System Bestände optimieren und Prozesse beispielsweise in Filialen effizienter gestalten - beides bringt eine Minimierung der Kosten mit sich.
Warum ist Order Management gerade für Fashion-Händler so entscheidend?
Fashion-Händler betreiben oft Omnichannel Geschäftsmodelle, bieten ihren Kund:innen also online und offline mehrere Kanäle zum Einkaufen und betreiben damit komplexe Netzwerke, wenn es um das Fulfillment geht. Sie stehen unter einem hohen Kosten- und Margendruck, haben intensiven Wettbewerb und sind stark von saisonalen Trends und Kollektionen geprägt. Order Management ermöglicht es den Händlern, die richtige Menge an Produkten zur richtigen Zeit zu bestellen und zu verwalten, um den saisonalen Nachfragezyklen gerecht zu werden. Eine weitere Besonderheit von Fashion-Händlern ist, dass sie Produkte in verschiedenen Größen, Stilen und Farben
anbieten. Auch hier hilft ein robustes Order Management, den Überblick über diese Vielfalt zu behalten und sicherzustellen, dass die richtigen Produkte zur Verfügung stehen, wenn Kund:innen sie benötigen.
Modeartikel unterliegen außerdem kurzen Produktlebenszyklen, aufgrund sich schnell ändernder Trends. Effizientes Order Management ermöglicht es Händlern, schnell auf neue Trends zu reagieren, indem sie Bestellungen zügig bearbeiten und Produkte schneller auf den Markt bringen. Am Ende zählt im wettbewerbsintensiven Fashion-Handel die Zufriedenheit der Kund:innen. Eine reibungslose und zuverlässige Abwicklung von Bestellungen ist entscheidend für die Bindung der Kund:innen - der Einsatz von effektiven Order Management-Prozessen kann hier erheblich dazu beitragen, dass Kund:innen wiederkehren.
Was sind konkrete Praxisbeispiele, wie Fashion-Händler Order Management Systeme einsetzen?
Zunächst einmal hat ein Händler durch die transparente Zusammenführung der Bestände die Möglichkeit, seinen On- und Offline-Kund:innen den gesamten Bestand im Netzwerk zugänglich zu machen - und zwar nicht nur den Bestand, der heute physisch vorhanden ist, sondern auch den zukünftigen Bestand. Wenn ich zum Beispiel weiß, dass ein begehrter Sneaker erst in der Zukunft released wird, kann ich als Händler schon heute Bestellungen annehmen, das zukünftige Lieferdatum klar kommunizieren und die Produktions- bzw. Bestellmenge auf Basis der Nachfrage anpassen. Ähnlich verhält es sich mit ausverkauften Artikeln: Auch hier kann der Händler den Kund:innen klar kommunizieren, wann Bestände wieder vorhanden sind und verschickt werden können. Transparente Lieferungs- und Abholoptionen auf der Produktdetailseite und im Checkout können im weiteren Verlauf der Customer Journey den entscheidenden Ausschlag zum Kauf geben, denn bei zeitlich kritischen Käufen trägt eine zeitnahe Abhol-/Lieferoption erheblich zum erfolgreichen Abschluss einer Bestellung bei. Sobald die Bestellung dann in das Order Management System läuft, muss entschieden werden, von wo sie verschickt wird. Ist der Artikel in der Wunschfiliale, die zur Abholung ausgewählt wurde, nicht vorhanden? Dann muss der Artikel von einem Standort, an dem er verfügbar ist, verschickt werden.
Bei sogenannten Ship-from-Store-Bestellungen gibt es zahlreiche Möglichkeiten, Regelwerke einzustellen, die das Routing optimieren und unter anderem Order Splits berücksichtigen.
Ein Beispiel: Für Modehändler macht es Sinn, zunächst zu prüfen, ob eine Bestellung vom Warenlager verschickt werden kann. Sollten die Artikel dort nicht vorhanden sein, werden die Stores mit verbesserungswürdiger Performance geprüft. Erst wenn auch diese Stores nicht liefern können, gehe ich in die gut performenden Stores in Premiumlagen. Genau diese Reihenfolge muss ein Fashion-Händler ggf. jedoch umkehren, wenn sich in der Bestellung ein End-of-Season Artikel befindet. Dieser sollte dann mit hoher Priorität aus den gut gelegenen Stores geroutet werden, damit schnellstmöglich Platz für neue Kollektionen vorhanden ist. Im Routing sind weitere Aspekte zu berücksichtigen, wie beispielsweise Sicherheitsbestände, damit Offline-Kund:innen nicht vor leeren Regalen stehen, Kapazitäten der Store-Mitarbeiter:innen oder auch die individuelle Auswahl von Carriern.
Das Thema Retouren kann ebenso durch effizientes Order Management optimiert werden. Nehmen wir wieder die End-of-Season Artikel, diese sollten jadie später nicht in den Premium Store zurückgeschickt werden sollen, sondern zum Beispiel in ein Outlet. Diese dynamischen Retourenadressen inklusive der Möglichkeit, Ware in Stores zurückzugeben, kann Umlagerungen minimieren und Online-Kund:innen in die Filialen bringen, wo der Händler diese Kund:innen wiederum durch Beratung vom richtigen Kauf überzeugen kann oder zumindest Versandkosten für Retouren reduziert.
Inwiefern kann ein strategisch ausgerichtetes Order Management System dazu beitragen, Kosten zu senken und die Rentabilität eines Fashion-Handelsunternehmens auf verschiedene Weise zu steigern?
Durch eine präzise Bestandsverwaltung können Fashion-Händler Überbestände und veraltete Lagerbestände minimieren, was Lagerhaltungskosten wie Mietkosten und Versicherungskosten reduziert und Kapital freisetzt. Außerdem ermöglichen effiziente In-Store-Prozesse eine schnellere und genauere Bearbeitungen von Bestellungen, was die Bearbeitungskosten senkt und Fehler in der Bestellabwicklung minimiert. Funktionalitäten wie “Backorders” und “Available-to-Promise” ermöglichen es Händlern, die Nachfrage genauer zu prognostizieren und den Lagerbestand entsprechend anzupassen, um Überbestände und Engpässe zu vermeiden, was zu einer optimalen Nutzung der Ressourcen führt. Und letztendlich und längerfristig können und müssen Fashion-Händler weniger in Re-Marketing Aktivitäten investieren, da eine “Best-in-Class” Customer Experience zur Wiederkehr der Kunden Kund:innen enorm beiträgt.