Unter Kaufleuten gehört der Einwand einer zu spät erhobenen Mängelrüge zum Standardrepertoire der Abwehr von Gewährleistungsansprüchen. Der Bundesgerichtshof hatte in einem aktuellen Urteil Anlass zu Ausführungen, wann ein Verzicht auf die Rüge vorliegen kann. ECC CLUB Mitglied Rechtsanwalt Rolf Becker, Partner bei Wienke & Becker – Köln, erläutert die Entscheidung.
Unzulässige Abschalteinrichtung
Es ging um eine unzulässig in einen gebrauchten Tiguan (Dieselmotor der Baureihe EA 189 (Abgasnorm Euro 5) eingebaute Abschalteinrichtung, als eine Fahrzeughändlerin eine Tochtergesellschaft der VW AG (also nicht die Fahrzeugherstellerin) nach dem Kauf des Fahrzeugs verklagte. Beide Parteien sind Kaufleute und im Handelsregister eingetragen. Nach dem Kauf hatte die Beklagte nach Beanstandung durch das Kraftfahrt-Bundesamt ein Software-Update bereitgestellt (Schreiben an die Klägerin vom 14.10.2016). Einen Monat später, am 15.11.2016, machte die Klägerin Ansprüche geltend. Nach erfolglosen Bemühungen klagte die Händlerin auf Rückzahlung des Kaufpreises nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übereignung des Fahrzeugs, hilfsweise Lieferung eines Neufahrzeugs aus der aktuellen Produktion, Feststellung des Annahmeverzugs und Ersatz von Anwaltskosten.
Während des Prozesses erhielt die Klägerin ein Schreiben von der Beklagten, die dort über eine weitere Update-Möglichkeit informierte und anbot, ggf. ein kostenloses Ersatzfahrzeug während des Update-Termins zur Verfügung zu stellen.
Sonderregelungen bei Kaufleuten
Bei einem beidseitigen Handelsgeschäft (siehe § 343 HGB) gelten eine Reihe von Sondervorschriften nach dem Handelsgesetzbuch. Auf beiden Seiten müssen Kaufleute agieren. Das ist bei einem Formkaufmann/-frau, der/die schon „kraft Rechtsform“ den Kaufmannsstatus erhält, der Fall. GmbH und Aktiengesellschaften sind z.B. immer Formkaufleute.
Untersuchungs- und Rügepflicht
Nach § 377 Abs. 1 HGB hat der Käufer oder die Käuferin die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer oder die Verkäuferin, soweit dies nach ordnungsmäßigem Geschäftsgang tunlich ist, zu untersuchen und wenn sich ein Mangel zeigt, dem oder der Verkäufer:in unverzüglich Anzeige zu machen.
Unterlässt er oder sie die Rüge, gilt die Ware gemäß § 377 Abs. 2 HGB als genehmigt, es sei denn, der Mangel war bei der Untersuchung nicht erkennbar. Es geht also um offensichtlich erkennbare Mängel.
Zeigt sich ein Mangel erst später, muss nach § 377 Abs. 3 HGB die Anzeige unverzüglich nach der Entdeckung gemacht werden; anderenfalls gilt die Ware jedenfalls mit diesem Mangel als genehmigt. Die Ware ist also fiktiv als vertragsgerecht anzusehen und ein Streit über den Mangel ist nicht mehr möglich. Es geht um schnelle Abwicklungen und Rechtssicherheit unter Kaufleuten. Dabei soll möglichst schnell Klarheit über die ordnungsgemäße Abwicklung eines Geschäfts geschaffen werden. Der oder die vom Gesetz bevorzugte Verkäufer:in soll entsprechende Feststellungen und notwendige Dispositionen schnell treffen können, um insbesondere einen möglichen Schaden abwenden zu können, der sich aus Gewährleistungs-, Schadensersatz- oder Nachlieferungsansprüchen des Kaufenden ergeben könnte.
Knappe Zeit für die unverzüglich Rüge
Die Rechtsprechung billigt dem oder der Käufer:in nur wenige Tage für eine Rüge zu, wenn er oder sie einen Mangel entdeckt hat oder hätte entdecken können. Gekoppelt ist dies mit der Pflicht, die Ware zu untersuchen. Die sog. Rügeobliegenheit setzt ein, wenn der Mangel entdeckt wird. Jedenfalls ist eine über zwei Wochen nach Entdeckung des Mangels erhobene Mängelrüge nicht mehr "unverzüglich" im Sinne des § 377 Abs. 3 HGB (vgl. BGH, Urteile vom 30. Januar 1985 - VIII ZR 238/83, aaO; vom 25. Juni 2002 - X ZR 150/00, juris Rn. 25).
Nach diesen Grundsätzen war die Rüge, die im Forderungsschreiben der Klägerin vom 15.11.2016 gesehen werden konnte, verspätet.
Der BGH dazu:
„Gezeigt hat sich der in der eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung liegende Mangel des Fahrzeugs für die Klägerin spätestens mit dem Zugang des Schreibens vom 14. Oktober 2016, mit dem sie durch die Fahrzeugherstellerin darüber informiert wurde, dass für ihr Fahrzeug nunmehr das erforderliche Software-Update zur Verfügung stehe…“
Damit bestand sichere Kenntnis über den Mangel am konkreten Fahrzeug. Man kann auch diskutieren, ob nicht die vorangegangene Presseberichterstattung einem oder einer sorgfältigen Kaufmann/-frau nicht Veranlassung zu einer Untersuchung gegeben hätte und damit schon früher eine Rügepflicht bestanden hätte, was der BGH nahelegt:
„Selbst wenn die Klägerin bis dahin aufgrund der Presseberichterstattung nur den Verdacht eines entsprechenden vertragswidrigen Fahrzeugzustands gehabt haben sollte, der allerdings einem sorgfältig handelnden Kaufmann unter den gegebenen Umständen bereits Veranlassung zu einer diesbezüglichen Untersuchung gegeben hätte, so hatte sich dieser Mangelverdacht aufgrund des an sie gerichteten Schreibens der Fahrzeugherstellerin zu einem Mangelbefund verdichtet und spätestens damit die Rügeobliegenheit nach § 377 Abs. 3 HGB ausgelöst.“
Verzicht auf Mangeleinwand bei Versprechen vorbehaltloser Nachbesserung?
Eine rechtzeitige Rüge hatte die Klägerin also nicht ausgesprochen. Die Vorinstanz hatte aber angenommen, der Verkäufer oder die Verkäuferin könne auf den Einwand der Verspätung einer Mängelrüge auch stillschweigend verzichten, was insbesondere bejaht werde, wenn er oder sie vorbehaltlos Nachbesserung versprochen oder den Verspätungseinwand nicht erhoben habe. Aus einem Schreiben der Beklagten nach Klageerhebung mit einem weiteren Updateangebot gehe deutlich hervor, dass die Beseitigung des Mangels ohne Vorbehalt und Einschränkungen durchgeführt werden solle und somit auf eventuelle Rechte nach § 377 Abs. 3 HGB in schlüssiger Weise verzichtet worden sei.
Der BGH bestätigte seine Rechtsprechung zum jederzeit möglichen und auch stillschweigend ohne ausdrückliche Erklärung denkbaren Rügeverzicht, folgte aber im konkreten Fall nicht der II. Instanz-Entscheidung. Ein solcher Rügeverzicht kann angenommen werden, wenn ein Verkäufer oder eine Verkäuferin eine Ware vorbehaltlos zurücknimmt oder vorbehaltlos Nachbesserung verspricht und den Einwand nicht erhebt.
Allerdings, so der BGH, müssen eindeutige Anhaltspunkte für die Aufgabe des Rechts vorliegen. Die sahen die Richter aber nicht gegeben. Das Schreiben nach Klageerhebung habe nur der Unterrichtung über das weitere Update gedient und sei für eine Vielzahl von Fällen formuliert gewesen ohne Bezug auf den konkreten Einzelfall.
Das Schreiben diente erkennbar lediglich der (weiteren) Unterrichtung der Klägerin als Eigentümerin des Fahrzeugs über das von der Fahrzeugherstellerin zur Verfügung gestellte Software-Update, das - entsprechend der früheren Mitteilung der Fahrzeugherstellerin vom 14. Oktober 2016 selbst über deren Servicepartner und damit auch - über die Beklagte aufgespielt werden sollte…
Hingegen enthält das Schreiben eine Erklärung der Beklagten zu einer etwaigen eigenen Einstandspflicht gegenüber der Klägerin aufgrund des geschlossenen Kaufvertrags nicht. … Anderes folgt auch nicht aus dem im Schreiben unterbreiteten Angebot der Beklagten, der Klägerin bei Bedarf für die Dauer der Maßnahme ein Ersatzfahrzeug - kostenlos - zur Verfügung zu stellen. Denn der Zusatz "kostenlos" lässt aus Sicht der Klägerin als Empfängerin des Schreibens lediglich erkennen, dass sie selbst die mit der Fahrzeugüberlassung verbundenen Kosten nicht würde tragen müssen. Er trifft aber keine Aussage dazu, ob diese Kosten auch endgültig von der Beklagten getragen oder von dieser - wie auch die Kosten der eigentlichen Maßnahme - letztlich der Fahrzeugherstellerin berechnet werden würden.
Zudem verweist das Urteil auf das bereits länger geführte Klageverfahren. Das Schreiben lasse nicht einmal auf die Bereitschaft der Beklagten zur Aufnahme von Verhandlungen über die gerügten Mängel schließen. Auch ein solches Verhalten kann im Einzelfall einen Verzicht bedeuten (BGH, Urt. v. 19. Juni 1991 - VIII ZR 149/90 u. v. 25. November 1998 - VIII ZR 259/97).
Treu und Glauben oder arglistiges Verschweigen
Denkbar wäre es auch, wenn der Verkäufer oder die Verkäuferin etwa den oder die Käufer:in von einer Rügeerhebung abgehalten hätte, ihm oder ihr den Einwand aus Treu und Glauben (§ 242 BGB) zu verwehren. Auch die wichtige Regelung des § 377 Abs. 5 HGB sahen die Richter:innen nicht als gegeben an. Danach kann sich der Verkäufer oder die Verkäuferin, der oder die den Mangel arglistig verschwiegen hat, nicht auf diese Vorschriften berufen. Der BGH sah jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass
die Beklagte von der in das Fahrzeug eingebauten unzulässigen Abschalteinrichtung bei Abschluss des Kaufvertrags wusste oder hätte wissen können. Sie muss sich auch nicht ein etwaiges Fehlverhalten der Fahrzeugherstellerin zurechnen lassen.
Fazit:
Untersuchungs- und Rügepflichten müssen Einkäufer:innen im B2B kennen, beherrschen und in ihre Arbeitsprozesse einbauen. Das BGH Urteil macht darauf aufmerksam, dass schon eine Berichterstattung Nachuntersuchungen auslösen kann und es um Schnelligkeit geht. Verkäufer und Verkäuferinnen sind gut beraten, wenn sie bei dem Angebot von Maßnahmen in Gewährleistungsfällen klare Vorbehalte hinsichtlich der Anerkennung von Rechtspflichten aussprechen. Das kann auch darin bestehen, Maßnahmen als Kulanz auszuweisen.
ÜBER DEN AUTOR
Rechtsanwalt Rolf Becker ist Partner der Rechtsanwälte WIENKE & BECKER in Köln und Autor von Fachbüchern und Fachartikeln zum Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Vertriebsrecht insbesondere im Fernabsatz. Als Mitglied im ECC CLUB kommentiert Rechtsanwalt Becker für das ECC KÖLN regelmäßig aktuelle Urteile zum Online-Handel und gibt Händlern praktische Tipps, wie sie mit den gesetzlichen Vorgaben umgehen sollen.
RA Becker auf Twitter: http://twitter.com/rolfbecker
Er ist auch Autor auf den Informationsdiensten www.versandhandelsrecht.de.
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