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29. April 2022
Porträtfoto Timo Weltner von NETFORMIC

Der Direktvertrieb (D2C) bietet Herstellern die Möglichkeit, ihre Produkte direkt an Kund:innen zu verkaufen – und ist in den Augen von Timo Weltner, CEO von ECC CLUB Mitglied NETFORMIC, heutzutage alternativlos. Welche Chancen D2C in einer zunehmend von Plattformen geprägten Welt bietet und welche Herausforderungen es beim Aufbau des eigenen D2C-Geschäfts gibt, lesen Sie im Interview.

Direct-to-Consumer (D2C) ist die Vertriebsform, die in den letzten Jahren im E-Commerce wohl mit am stärksten gewachsen ist. Wie ist das zu begründen?

Der große Treiber für alles, was wir heute unter D2C subsumieren, ist der zunehmende Trend einer Plattformökonomie. Im Jahr 2020 wurden laut IFH KÖLN Zahlen 53 Prozent des gesamten E-Commerce-Umsatzes über Amazon gemacht. Daneben gibt es noch diverse kleinerer Marktplätze, die sich sicherlich nochmal weitere 20 bis 25 Prozent vom Kuchen holen. Die wesentlichen Treiber, warum Hersteller jetzt immer stärker in das Direktkundengeschäft drängen:

  • Abhängigkeit von einem Kanal: Hersteller und Marken stehen bei strategischen Überlegungen automatisch vor der Frage, wie abhängig man sich in einer zunehmend digitalisierten Welt von einem großen Kanal machen möchte. Sicher gab es diese Situation auch schon in der alten Handelswelt, dass zum Beispiel große Lebensmittelketten in der Einkaufswelt dominierend waren. Aber in der Art und Weise, wie vor allem in Deutschland ein Defacto-Monopol auf das Kaufverhalten entsteht, ist diese Überlegung absolut richtig.
  • Erlebnis an der Kundschaft stärker in der Hand haben: Auf der anderen Seite gibt es immer mehr Firmen, die das Erlebnis bei den Kund:innen stärker in die eigene Hand nehmen wollen und müssen. Wesentliche Teile von Produkten werden von unterschiedlichen Marken an denselben Produktionsstandorten in Asien & Co hergestellt. Bei immer mehr Produkten ist der zentrale USP nicht mehr das eigentliche Produkt (Qualität, Innovation, etc.), sondern viel mehr das Markenerlebnis an sich. Genau hier braucht man als Marke und Hersteller aber direkten Zugriff auf die Kundenbeziehung und die Art und Weise, „wie“ ein Produkt bei der Kundschaft präsentiert und verkauft wird.

Bei D2C denken wir häufig primär an den B2C-Handel, aber auch für den B2B-Sektor bietet der Direktvertrieb eine Menge Möglichkeiten. Welche sind dies?

Ja, in der Tat suggeriert der Begriff D2C, dass hier primär Privatkundengeschäft gemeint ist. Dabei ist im B2B-Umfeld das Thema Direktkundengeschäft auch in einer noch weitaus weniger digitalen Welt weit verbreitet. Man denke nur an die unzähligen Printkataloge diverser Hersteller.

Ich glaube unabhängig von der Frage, ob man Produkte an Privat- oder Geschäftskund:innen verkauft, wird durch die vorher schon beschriebene Plattformökonomie die Rolle des in den letzten Jahrzehnten omnipräsenten Handels immer irrelevanter. Das führt dann auch in der B2B-Welt zu der Frage: Wie kann ich mich als Hersteller in einer zunehmend digitalisierten Welt zwischen eigenem Shop, Einkaufssystemen und B2B-Marktplätzen positionieren? Und hier gilt am Ende ähnlich wie für Privatkonsument:innen, dass der Zugriff auf die Kundenbeziehung elementar ist und deshalb ein D2C-Geschäft aufgebaut werden sollte. Hinzu kommt, dass im B2B-Sektor oftmals sehr umsatzstarke Kundenbeziehungen bestehen oder zumindest entstehen können. So lässt sich eine digitale Bestellplattform oder auch ein Kundenserviceportal oftmals schon mit wenigen Kund:innen refinanzieren. Und dies kann gleichzeitig der erste Schritt in eine digitalisierte Zeit sein.

Warum ist D2C sowohl aus Sicht von Herstellern, aber auch aus Sicht von Händlern alternativlos?

Mein Grundverständnis ist, dass es die Rolle des klassischen „Händlers“ perspektivisch nicht mehr gibt. Das mag erst einmal komisch klingen, aber es braucht in einer digitalen Produkt-zu-Kund:in-Beziehung kein Unternehmen mehr, das mit schierer Warenverfügbarkeit im eigenen Lager Handelsmarge generiert.

Das Gute ist, dass man die heutigen Handelsunternehmen weiterhin braucht oder diese sich transformieren müssen, um weiterhin am Markt zu bestehen.

  1. Lokale Servicedienstleister für Hersteller: Viele stationäre Ketten, Verbundgruppen und mehr sind hervorragend aufgestellt für den perfekten Vor-Ort-Service – von Installation, Reklamation bis Reparatur und mehr.
  2. Beratungsleistung, Schulung und mehr: Neben dem Service kann auch das Implementierungs- und Beratungsgeschäft ein relevanter Service sein, für den Kund:innen auch bereit sind zu bezahlen.
  3. Eigenmarken: Größere Handelsunternehmen sind schon seit Jahrzehnten dabei, eigene Marken zu etablieren. Insofern werden diese zunehmend auch zu Herstellern bzw. Markeninhabern. Beispielhaft verkaufen große Eigenmarken-Handelsketten wie Zara und H&M mittlerweile ihre Marken auch auf Plattformen. Dies ist ein konsequenter und logischer Schritt hin zu einer tieferen Verankerung im Markt und bei der Kundenwahrnehmung.

Hier fehlen nun sicher noch weitere mögliche Entwicklungsstufen. Ich will damit sagen, dass am Ende für jeden ein D2C-Geschäft relevant ist, da man in einer zunehmend plattformgetriebenen Handelswelt die Fragen der eigenen Wertschöpfung gänzlich neu denken und sich hier oft noch einmal radikal neu erfinden muss.

Wie schaffen es Unternehmen, sich von Plattformen wie Amazon, eBay und Co. mittels D2C abzusetzen?

Am Ende kennt ein Hersteller sein Produkt und seine Marke, aber auch die Kundschaft besser als jede Plattform. Keine Frage haben die großen Plattformen viel Budget für Data Analytics und andere Dinge. Allerdings kann ein Amazon u. ä. niemals so detaillierte Spezifika in Sachen Nutzerverhalten mit dem Produkt des Herstellers aufbauen wie der Hersteller selbst. Vorausgesetzt er macht es gut.

Unterm Strich können Sie als Marke wertiger die Produkte an Ihre Kund:innen verschicken, können im After-Sales-Prozess viel spezifischer zum Beispiel eine Art „Onboard-Phase“ begleiten (bei Amazon ist Ihnen zum Teil nicht mal erlaubt, den Kund:innen eine E-Mail zu schicken). Aber auch im weitergehenden Service für zum Beispiel Ersatzteile oder Wartungsangebote, Schulungsinformationen oder den Austausch mit anderen Produktanwender:innen haben Sie im D2C-Business durchaus einfache Möglichkeiten, sich von den großen Marktplätzen abzuheben. Es scheitert hier oftmals nur am Pragmatismus und der einfachen Idee, aber jede:r, die oder der selbst schon einmal bei Amazon eingekauft hat weiß, dass es spätestens beim produktbezogenen Service schnell eng wird.

Zu guter Letzt – dein Praxistipp: Welche Herausforderungen gilt es beim Aufbau einer Direktvertriebsstrategie zu meistern? Was sollte man unbedingt auf dem Schirm haben?

  1. Service & Versandqualität wie Amazon bieten: Amazon hat Maßstäbe gesetzt und die gelten nun für jeden. Schnelle und zuverlässige Lieferung, sauberes Versandtracking und ein gut strukturiertes Kundenkonto sind heutzutage Basics. Das muss jeder können und bieten, sonst ist man nicht wettbewerbsfähig.
  2. Zum Einstieg der Fokus auf eine Nische Ihrer Produktzielgruppe: Ich empfehle oft, dass man nicht versucht, alles zu lösen, sondern erst mal eine sehr spezifische, im Zweifel auch kleine Produktzielgruppe mit dem D2C-Angebot anzusprechen. Ob das nun im B2B-Fall zum Beispiel nur die sogenannten C-Kund:innen sind (=geringe Bestellvolumina, sind oftmals happy, wenn man eine Bestellplattform und After-Service-Portal bietet) oder im B2C-Fall eine ganz spezielle „Fanbase“ ihres Produktes. So können Sie explizit für diese Zielgruppe den perfekten Service anbieten, hier Begeisterung schaffen und darauf basierend ausbauen.
  3. Internes Verständnis von der Kundschaft: Insbesondere Hersteller, die das erste Mal D2C machen, sind schnell erstaunt, wie wenig man die eigenen Produktnutzer:innen, also die Kund:innen, kennt und versteht. Hier muss man – und jetzt kommt wieder Punkt 2 zu tragen – sich auf eine Nische einlassen und dann diese Zielgruppe zunächst perfekt verstehen. Welche Bedürfnisse gibt es, was sind die Potentiale und mehr.

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