Thomas Kerkhoff ist seit 1989 Rechtsanwalt in Düsseldorf und bei unserem ECC CLUB Mitglied, der Mütze Korsch Rechtsanwaltschaftsgesellschaft mbH, tätig. Wir haben ihn hinsichtlich der aktuell diskutierten EU-Kartellrechtsänderungen zum Interview eingeladen.
Die EU-Kommission hat erkannt, dass die derzeitigen Regeln sich nachteilig auf die Substanz des stationären Einzelhandels auswirken können. Wie kam es zu dieser Erkenntnis?
Der Kommission blieben die vielfältigen Versuche der Hersteller – insbesondere hochwertiger Markenprodukte – den Internethandel zu begrenzen, nicht verborgen. Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat mit der Entscheidung im Fall Coty, mit der er unter bestimmten Voraussetzungen Plattformverbote zuließ, ein grundsätzlich berechtigtes Interesse der Hersteller an der Art und Weise der Präsentation und des Verkaufs ihrer Produkte anerkannt. Hierauf reagiert nun die Kommission im Rahmen der turnusmäßigen Überarbeitung der Richtlinie, die dann im Mai 2022 in Kraft treten soll.
Die Änderungen im EU-Kartellrecht bieten den Herstellern mehr Einflussmöglichkeiten bei Vereinbarungen mit Händlern. So wird es künftig möglich sein, Händlern den Vertrieb über reine Handelsplattformen zu untersagen. Was sieht die Regelung im Detail vor?
Plattformverbote waren bislang unzulässig, da hierin eine nicht gerechtfertigte Beschränkung der nachgelagerten Handelsebene gesehen wurde. Dies ändert sich mit der neuen Verordnung, die Plattformverbote grundsätzlich von dem Kartellverbot freistellt. Damit kann, so die jeweils festgelegten Marktanteilsschwellen (in der Regel 30 %, ggf. aber auch 10 % Marktanteil) nicht überschritten werden, zukünftig in der Regel auch der Vertrieb von Produkten über reine Handelsplattformen untersagt werden. Davon zu unterscheiden ist der Vertrieb über eigene Onlineshops der Händler, die ebenso wenig untersagt werden können wie die Nutzung reiner Preissuch- oder Vergleichsportale.
Weiter wird es auch Änderungen in puncto Preissysteme sowie Mengenvorgaben geben. Erkläre uns bitte, welche Rechte Hersteller dabei zukünftig haben werden.
Damit keine Missverständnisse entstehen: Weiterhin bleibt eine Preisbindung zweiter Hand verboten. Zulässig werden aber etwa Doppelpreissysteme. Der Hersteller kann dann, anders als heute, etwa rein stationär tätigen Händlern oder solchen, die zumindest einen wesentlichen Teil ihres Absatzes stationär abwickeln, andere – nämlich günstigere – Preise berechnen als Onlinehändlern. Damit kann der Hersteller die höheren Kosten des stationären Handels „vergüten“. Auch wird es zukünftig zulässig sein, den Händlern Vorgaben in Bezug auf das Verhältnis zwischen den online und stationär vertriebenen Produkten zu machen, um so den stationären Fachhandel zu stärken.
Wie ist deine Einschätzung bzgl. der Auswirkungen der rechtlichen Änderungen auf den immer noch vorherrschenden Wettbewerb zwischen Online- und stationärem Handel?
Die neuen Regelungen beseitigen den bislang geltenden Schutz des Onlinehandels. Man hat erkannt, dass die Hersteller ein berechtigtes Interesse daran haben, dass der stationäre Einzelhandel nicht zum „Schaufenster“ des Onlinehandels verkommt und dann zwangsläufig irgendwann untergeht. In China sehen wir schon die Entwicklung, dass neben den Produkten im Einzelhandel Barcodes stehen, über die die Produkte dann online gekauft werden können. Der stationäre Händler erhält daraufhin eine Provision. Ich weiß von vielen Mandanten, wie wichtig ihnen eine funktionierende Einzelhandelsstruktur ist, die nun mit den neuen Regeln besser geschützt werden wird. Da wir Deutschen dazu neigen, nach dem Preis zu kaufen, werden die neuen Regeln für eine bessere Balance zwischen Online- und stationärem Handel sorgen.