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18. Juli 2023

Das Stichwort KI ist in aller Munde. Künstliche Intelligenz, ihre Einsatzpotenziale und ihre zivilisatorischen Gefahren, werden breit diskutiert. Der Eindruck drängt sich auf: Ein großer Durchbruch ist geschafft. ChatGPT ist die KI-Rakete, die uns in ein neues Zeitalter katapultiert. Jetzt heißt es, Sicherheitsgurte anlegen und einsteigen, um im rasanten Moonshot dabei zu sein. Und das Gedränge am Einstieg ist groß. Wie der Technik-Prophet Kevin Kelly einmal gesagt hat: "Die Businesspläne der nächsten 10.000 Start-Ups sind leicht vorherzusehen: Nehmen Sie X und fügen Sie KI hinzu.“ 

Atmen wir einmal durch. Und versuchen wir nüchtern auf die aktuellen Entwicklungen und ihre Relevanz für den Handel zu schauen. Dazu einige Thesen zum Status quo: 

  1. Wir leben schon jetzt in einer KI-Welt.  
    Unser Alltag ist von KI-Anwendungen durchzogen, von uns Kundinnen und Kunden mal mehr, mal weniger, mal gar nicht bemerkt. Das Entsperren unseres Smartphones, Empfehlungen auf Websites, Playlists, Navigation, Lagerbestände, Lieferungen – alles ist KI-basiert und KI-gesteuert.

  2. Social Media wirkt als KI-Einfallstor 
    Auf Social-Media-Plattformen ist KI bereits Nutzeralltag, von der individuellen Aussteuerung des Newsfeeds bis hin zum Gesichtserkennung beim Foto-Upload. Aber die Entwicklung geht weiter: Gerade hat Snapchat den KI-Chatbot „My AI“ für alle seine 750 Millionen Userinnen und User kostenlos ausgerollt. Und plötzlich taucht My AI in der Freundesliste auf, auch noch an erster Stelle. Der Bot tritt gewissermaßen vermenschlicht auf, als Bitmoji-Avatar, den man selbst umgestalten und neu einkleiden kann. My AI kann auch zu Gruppenchats hinzugefügt werden. Und redet dann mit, befeuert von GPT-Technologie.  

  3. KI erlaubt Marketing-Anwendungen über die gesamte Customer Journey hinweg 
    KI hilft den Marketingverantwortlichen auf vielfältige Weise. KI schafft ein besseres Kundenverständnis, eine genauere Prognose des Verhaltens und der Warenkörbe, eine dynamische Anpassung von Preisen und Produktleistungen. Und damit nicht genug. Auch die Schnittstelle zu den Kund:innen wird von KI gesteuert, von der Bedarfsweckung über KI-generierten Content bis hin zum Kundenservice über Chatbots. Ein mächtiger Helfer steht damit bereit, um die Marketing-Intelligenz des Unternehmens auf eine neue Stufe zu heben. Die „Augmented Intelligence“ steht vor der Tür. Bei Marketing-Profis ist sie bereits eingetreten und sitzt mit am Entscheidungstisch. 

  4. KI ist kein Privileg der Happy Few 
    Künstliche Intelligenz ist nicht das Vorrecht der Technik-Avantgarde, die die begabtesten Digitaltalente, die größten Budgets und allumfassende Big Data-Bestände aufbieten können. KI ist potenziell ein Thema, das alle betrifft - natürlich für große Unternehmen, aber eben auch für mittelständische Betriebe geeignet. 

Der Chatbot – Das Gespräch mit der KI 

Wir halten fest: Die Potenziale sind da. Aber wird das KI-Gold auch gehoben? Und was halten Kundinnen und Kunden davon? Werfen wir einen Blick auf ein konkretes Einsatzfeld, nämlich den Chatbot. Hier zeigt sich:  

  • Hersteller und Handel setzen auf Chatbots. Chatbots werden intern auf Mitarbeiterportalen (z. B. LIDL) oder im Verlauf des Bewerbungsprozesses (z. B. Kaufland, REWE) eingesetzt. Der Chatbot nimmt dann Bewerbungen entgegen, führt schon einmal ein kurzes Vorabgespräch und hilft im weiteren Prozess. 
  • Verbreitet ist auch der Chatbot-Einsatz zum Endkunden hin. Emmi von Media Markt informiert beispielsweise über Standorte und Öffnungszeiten. Viele Chatbots sind auch aktiv dabei, Tipps und Styling-Empfehlungen zu geben (z. B. der Beauty Agent von Douglas, Kikko von H&M, Zalon von Zalando), über Produkte und deren Features zu informieren (z. B. Emmi von MediaMarkt). Und den weiteren Kaufprozess begleiten sie ebenfalls. Der IKEA Chatbot gibt zu Bestellungen und Lieferzeiten, Reklamationen und Rücksendungen Auskunft, damit die IKEA-Hotline so zu Hochfrequenzzeiten entlastet wird. 

Das klingt vielversprechend. Und ist sicher erst der Anfang eines flächendeckenderen und umfassenderen Chatbot-Einsatzes. Denken wir nur an den Gesundheitsbereich. Wir klagen über zu hohe Kosten, über Ärztemangel, über zu lange Wartezeiten. Ein Chatbot könnte Abhilfe schaffen. Zumindest ein wenig. Der AXA-Konzern hat hierfür den „Symptom-Check“ im Einsatz. Man meldet sich an, als Gast oder als AXA-Kunde/Kundin, und beginnt das Gespräch über die eigene Befindlichkeit, über ein Ziehen und Reißen, Drücken und Pochen. Eine Übereinstimmungsrate mit passenden Krankheitsbildern wird zurückgespielt und der Kontakt zu Online-Arzt oder -Ärztin direkt angeboten. 

Aber was sagen die Kundinnen und Kunden dazu? Mögen Sie Emmi, Kikko und Zalon? Sind wir alle schon Best Friends? Und vertrauen wir ihnen unsere Ängste und Befindlichkeiten an? (In der Pandemie soll ja der Austausch mit Alexa und Siri intensiver geworden sein). Das IFH KÖLN hat bei Endkonsument:innen nachgefragt. Ihre Antworten waren eher verhalten. 

  • Jeder fünfte Deutsche hat schon einmal Kontakt mit einem Chatbot gehabt. Bei den Jüngeren, den 18- bis 29-Jährigen, immerhin schon jeder Dritte. Gleichwohl zeigt sich: Die Virtualisierung des Kundenkontaktes hat noch Luft nach oben. 
  • Nutzen und Mehrwert werden nur partiell gesehen. Die Technologie sei nicht ausgereift genug, mäkeln die User. Die Antworten von Chatbots seien mit Skepsis zu betrachten. Den Turing-Test bestehen die Chatbots also nicht. 
  • Einen Sprung nach vorn, in Richtung mehr Kundennutzen und mehr Zuverlässigkeit, erhofft man sich von „intelligenten“ Chatbots. ChatGPT kann hier einen Unterschied machen. Aber die Skepsis, die Vorbehalte bleiben. Das Beharrungsvermögen siegt aktuell noch.  

Wo gibt es bei Chatbots Nachholbedarf?

FRAGE: Inwiefern stimmen Sie den folgenden Aussagen zu? 

INFO 408 n 442, Darstellung der Top-2-Werte („stimme eher zu“ + „stimme voll und ganz zu“) 

Chatbots haben insgesamt noch Potenzial: Neben der Weiterentwicklung der dahintersteckenden Technologie wünschen sich Konsument:innen auch weitere Funktionen. 

Quelle: ECC KÖLN, Trend Check Handel (Vol. 6) 

KI im Handel: Hype mit Zukunft? 

Also: Die ChatGPT-Euphorie ist aktuell groß bis überschäumend. Am Durchbruchs-Narrativ wird ja auch eifrig gearbeitet. Gleichzeitig treten warnende Stimmen vor dem Weltuntergang, vor einer apokalyptischen Zukunft auf den Plan. Der Historiker Yuval Noah Harari sieht das System Zivilisation durch KI gehackt. Geoffrey Hinton, dem Google KI-Entwickler, ist nach seinem Ausscheiden aus dem Konzern aufgefallen, dass KI doch rasend gefährlich ist, schlimmer als der Klimawandel.   

Bleiben wir auf dem Teppich. Suchen wir Chancenvorteile von KI. Achten wir auch auf Risiken und Nebenwirkungen. Die gibt es. Und vor allem arbeiten wir kontinuierlich an nützlichen KI-Anwendungen. An unterstützenden Chatbots. Und noch an vielem mehr (gerade wird eine KI als Unternehmenschefin in die Diskussion gebracht. „Artificial Leadership“ ist das Stichwort). Dann kommt vielleicht nicht die große Transformation. Aber – hoffentlich – effizientere Prozesse und mehr Kundennutzen. Und das allein lohnt sich! 

Aktuelle Zahlen, Daten und Fakten zum Thema KI & Chatbots im Handel erhalten Sie im kostenlosen Trend Check Handel (Vol. 6) in unserem Shop.

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