Direkt-to-Consumer-Ansätze (D2C), also der Vertrieb vom Hersteller direkt zum Endkunden, wird in vielen Branchen immer beliebter. Aber für welche Produktkategorien und Marken eignen sich Direktvertriebskonzepte am besten? Worin Vorteile und wo die Grenzen des Herstellerdirektvertriebs liegen, klären Dr. Kai Hudetz und Professor Werner Reinartz im Gespräch.
Vertrieb zwischen Kanalkonflikten, Marken und Absatzpotenzial – Warum und für wen sind D2C-Ansätze spannend?
Kai Hudetz: Der Vertrieb Direct-to-Consumer (D2C) ist ein spannendes Thema, das aber auch eine gewisse Brisanz mit sich bringt. Nicht zuletzt, weil es immer wieder zu Kanalkonflikten führt. Richtig interessant wird dieser Ansatz vor allem für Hersteller dann, wenn sie über Markenbekanntheit und -vertrauen verfügen und eine hohe Beratungskompetenz haben.
Werner Reinartz: Wie nützlich ein D2C-Ansatz ist, hängt von einer Vielzahl an Aspekten ab. Das Thema ist meines Erachtens in den letzten Jahren etwas gehypt worden. Im Fashion-Bereich gibt es mit HUGO BOSS oder Adidas sehr erfolgreiche Beispiele, die es geschafft haben, ein eigenes Distributionsnetz aufzubauen, aber im FMCG-Bereich halte ich das für schwer möglich und machbar. Hier ist die Präsenz im Regal der Distributionspartner nicht ersetzbar. Bei Nischenprodukten sieht das anders aus.
In der Nische Dank Social Media erfolgreich
Werner Reinartz: In letzter Zeit haben es viele junge Consumer Brands geschafft, sich allein über Social-Media-Marketing und gutes Storytelling sehr gut in ihrer Zielgruppe zu positionieren. Kapten & Son aus Köln ist so ein Beispiel. Die Kommunikation läuft rein online ab und setzt stark auf die Zusammenarbeit mit Influencern. So eine Strategie passt aber natürlich nicht zu jeder Marke. Häufig finden diese Themen in der Nische statt, wo konsequent ein neues (Zeitgeist)-Narrativ bedient wird.
Kai Hudetz: Wenn der Markteintritt über Social Media fokussiert wird, sind die Positionierung und die Zielgruppe entscheidend. Befragungen zeigen, dass vor allem jüngere Konsumenten zwischen 18 und 29 Jahren besonders affin sind. Das heißt, Hersteller erreichen möglicherweise sehr passgenau ihre Zielgruppe und können in der Nische damit auch sehr erfolgreich sein. Für den Sprung auf den Massenmarkt reicht das allein aber nicht aus. Lebensmittelmarken beispielsweise können rein online gar nicht richtig groß werden, solange der Markt zu 98 Prozent stationär stattfindet. Wenn Hersteller hier aus der Nische rauswollen, geht das nur, wenn sie in die Regale reinkommen. Und: Neben der Unterscheidung Nische versus Massenmarkt kommt es auch stark auf die Customer Journey beim Kauf des Produkts an.
D2C muss zur Customer Journey passen
Kai Hudetz: Ein Produkt kann eine starke Marke sein und hohes Vertrauen auf Konsumentenseite genießen und trotzdem nicht für den Direktvertrieb geeignet sein. Hinzukommen muss, dass es ein „High-Involvement-Produkt“ ist, und nichts, was den Warenkorb lediglich ergänzt. Fischer ist so ein Beispiel: Eine deutsche Topmarke mit hoher Bekanntheit, aber die Customer Journey beim Dübelkauf ist eine andere als bei Sneaker. Ein reiner D2C-Ansatz wird hier nicht funktionieren. Das stimmt genauso für den FMCG-Bereich, wo ja auch selten nur einzelne Produkte gekauft werden.
Werner Reinartz: Bei den neuen D2C-Positionierungskonzepten geht es neben dem Absatz aus meiner Sicht auch darum, die eigenständigen Werte einer Marke zu kommunizieren. Weiterhin trifft das beispielsweise für besondere Nachhaltigkeitsaspekte zu, aber auch, wenn Individualisierung ermöglicht wird. Hier sind Hersteller häufig deutlich flexibler – Händler können damit selten punkten.
Kai Hudetz: Viele D2C-Ansätze von Markenherstellern starten ja genau so und nehmen Individualisierungsangebote als Ausgangspunkt. Ein weiterer Mehrwert: Hersteller sind in der Lage, in ihren Shops eine ganz andere Sortimentstiefe abzubilden als der Händler. Aber auch hierbei gilt wieder, die Konsumentenbedürfnisse sind entscheidend. Was ist wichtiger – ein gut kuratiertes Sortiment oder eine möglichst große Auswahl? Sprich auch die Bündelungsfunktion des Handels hat klar seine Berechtigung. Insbesondere Fashion Brands oder Marken aus den Bereichen Kosmetik oder Wohnen sind also gut beraten, D2C-Ansätze und den klassischen dreistufigen Vertrieb aufeinander abzustimmen.
Mehrwerte durch Cross-Selling
Werner Reinartz: Der Mehrwert aus Konsumentensicht ist entscheidend. One-Stop-Shopping ist für Viele beim Einkauf ein wichtiges Argument, aber je nach Kategorie kann der Treiber auch ein anderer sein. Dann sind wir wieder bei den Themen Vertrauen und Beratung, die wir eingangs hatten. Sind für die Konsumentinnen und Konsumenten die Beratungsleistung und möglichst viele Informationen entscheidend, bietet das dem Hersteller, der sich direkt an seine Kundinnen und Kunden richtet, auch großes Anknüpfungspotenzial. Ich denke da beispielsweise an Bosch Power Tools. D2C-Vertrieb bietet Markenherstellern die Chance, möglichst viel über ihre Zielgruppe zu lernen und so Angebote, insbesondere in der Breite, ideal auszusteuern.
Kai Hudetz: Ja, das Thema Cross-Selling ist für Hersteller sehr relevant. Auch das Thema Ersatzteillieferung kann für Hersteller ein guter Einstieg in den D2C-Vertrieb sein. So können Marken beispielsweise damit punkten, auch für Produkte, die nicht mehr im Sortiment sind, Ersatzteile bereitzustellen. Aber in Sachen Services stoßen D2C-Konzepte auch an ihre Grenzen. Denken wir beispielsweise an Waschmaschinen. Services wie Lieferung, Aufbau und Montage oder die Altgeräteentsorgung haben Händler heute häufig mit im Angebot. Ein klarer Mehrwert, den der Hersteller im Normalfall nicht bieten wird – allein schon wegen des logistischen Aufwands.
Werner Reinartz: Für die Hersteller haben Cross-Selling-Ansätze auch einen Marketing-Mehrwert – Kundinnen und Kunden sollen eng an die Marke gebunden werden. Das funktioniert bei Abo-Modellen wie zum Beispiel dem Reiniger zur Waschmaschine und vor allem bei Lifestyle-Themen sehr gut. Also da, wo die Story der Marke innerhalb einer Marken-Community aufgeladen wird. Weber macht das im Grillbereich ganz hervorragend.
Kai Hudetz: Bleibt festzuhalten: Es gibt nicht Schwarz oder Weiß. Für die allermeisten Hersteller, für die aufgrund ihrer Produktkategorie D2C-Konzepte geeignet sind, wird es ein intelligentes Austarieren zwischen dem Vertrieb über die Handelspartner und eigenen Vertriebsaktivitäten bleiben. Welche Rolle der direkte Kontakt zu den Kundinnen und Kunden im eigenen Vertriebsmodell einnimmt, muss individuell festgelegt und regelmäßig geprüft werden. Jeder Absatzweg hat seine spezifischen Stärken. Grundsätzlich sehen wir aber ein Erstarken des D2C-Vertriebs.
Hinweis:
Dieser Beitrag ist zuerst am 20.07. im Ad Special Manager Wissen in der Harvard Business Manager Gesamtausgabe (August/2021) erschienen, www.manager-wissen.com