Der Direktverkauf vom Hersteller an die Endkund:innen, kurz D2C, ist aktuell immer häufiger im Gespräch. Im Interview legt Cliff Pfefferkorn, Partner & Founder bei unserem ECC CLUB Mitglied eStrategy Consulting, die Herausforderungen und Chancen des Vertriebsmodells dar und gibt Tipps, unter welchen Voraussetzungen das Modell ein Gewinn sein kann.
Was bedeutet für dich der Begriff D2C, insbesondere für etablierte Hersteller-Marken?
D2C wird sehr oft als neues Vertriebsmodell gesehen, über das B2C- und B2B-Hersteller ihre Produkte direkt an die Endkund:innen verkaufen können, also ohne Groß-, Einzel- oder Fachhandel. Das ist auch insofern richtig, weil das direkte Verkaufen an die Kund:innen ein zentraler Ankerpunkt von D2C ist.
Aber: D2C bietet viel mehr Vorteile als es Vertriebsmodelle üblicherweise tun. Und es fordert auch mehr. Es macht deshalb viel mehr Sinn, D2C als ein Business Modell zu betrachten - und zwar als ein sehr mächtiges, mit sehr viel Potenzial und Komplexität.
Das Wichtigste, das man zu D2C verstehen muss: Es geht um den Aufbau ganzheitlicher, kommerziell gesunder Beziehungen zu Kund:innen, in allen Phasen des Customer Life Cycles, also vom Anbahnen ersten Produktinteresses über das Anreichern von Produktwissen und Vertrauen bis hin zum ersten Kauf – und dann weiter, über alle Phasen des Besitzens und Verwenden des Produkts, mit allen dabei zu meisternden Herausforderungen und natürlich auch mit der langfristigen Steigerung des Customer Lifetime Values. Das funktioniert nur, wenn diese Beziehung zwischen Hersteller und Kund:in auch seitens des Herstellers darauf abzielt, immer wertvoll für Kund:innen zu sein und sie immer besser kennenzulernen.
Kein Händler kann das so gut wie der Hersteller, weil der Hersteller seine Produkte viel besser kennt und über Produktregistrierungen, IoT-Daten etc. viel mehr über die Verwendung des Produkts weiß als es der Händler jemals könnte. Dadurch kann – und muss – es dem Hersteller gelingen, dass Kund:innen die Beziehung zu ihm wertvoller finden und mehr schätzen als die Beziehung zu ihren Händlern.
Das Interessante dabei: Viele Hersteller sind durch ihre Omnichannel Marketing-Aktivitäten schon intensiv darauf ausgerichtet, Beziehungen zu Kund:innen aufzubauen, zu gestalten und zu beschützen, bspw. durch gute Produktbeschreibungen und -beratungen auf der eigenen Website, chat-unterstützten Kundenservice, IoT-getriebene Apps für die bessere Verwendung der Produkte oder Produktregistrierungen. Durch das eigene Bespielen des transaktionalen Moments in der Customer Journey, also durch den Aufbau eigener Webshops, schließen sie nun die Lücke und öffnen gleichzeitig die Tür für viele spannende strategische Spielfelder.
Welche Vorteile bietet D2C für Hersteller?
Die Liste an Vorteilen ist sehr lang und reicht von der Top-Line Gestaltung (Umsatz) über Bottom-Line-Aspekte (Marge) bis hin zur Produktentwicklung. Deshalb sprechen wir von einem Business Modell, nicht nur von einem Vertriebsmodell. Darüber sollte man als Hersteller über D2C nachdenken:
- Direkte Monetarisierung der eigenen Online-Reichweite: Gerade für High-Interest Produkte gehört der Besuch der Hersteller-Website ohnehin bereits zum Standard der Customer Journey der Kund:innen. Keiner sollte schließlich so gut und umfangreich über seine Produkte informieren können wie der Hersteller selbst. Warum also diese Reichweite nicht direkt monetarisieren? Das schafft auch zusätzliche Flexibilität, gerade in Krisenzeiten
- Vollständige Kontrolle über die Brand Experience: Grundsätzlich vertraut man natürlich seinen Händlern, aber man hat keinen oder nur wenig Einfluss insbesondere auf die Momente des Service und After Sales. Auch Online-Marktplätze kann ein D2C Hersteller selbst bespielen . Dadurch muss er das Verkaufen auf diesen Marktplätzen nicht dem Handel überlassen, der damit ggf. keine Erfahrung hat und Kund:innen keine guten Einkaufserlebnisse bietet – was diese auf die Herstellermarke übertragen.
- Aufbau von langfristigen, wertvollen und gestaltbaren Kundenbeziehungen: Omnichannel-Marketing von Herstellern zielt von jeher darauf ab, über die eigenen digitalen Kanäle direkte Beziehungen zu möglichst vielen Kund:innen aufzubauen. Eigener E-Commerce ermöglicht es nun, noch mehr über die Kund:innen zu erfahren, die Beziehungen noch stärker und individualisierter zu entwickeln und den Customer Lifetime Value jedes Kunden:jeder Kundin aktiv entwickeln zu können.
- Die Reduktion der relativen Marketingkosten, also des Anteils des Marketings am Umsatz: Kein Marketing ist so kosteneffizient wie das digitale, datengetriebene und personalisierte Reaktivieren von Bestandskund:innen über eigene Kanäle (Website, App, Newsletter, …), denn die Kundenrelevanz ist hoch und es werden keine Budgets für Media oder Performance Marketing notwendig.
- Vertriebskanäle für innovative Sortimente zu schaffen, die der Handel nicht oder nur bedingt verkaufen kann: Hierzu können bspw. Kreiswirtschafts-Strategien mit zertifiziert aufbereiteten Altgeräten gehören. Und natürlich geht es dabei auch um digitale Services der Hersteller, die oftmals als subscription-basierte Geschäftsmodelle angeboten werden, die über die Checkout-Prozesse des Handels nicht vertrieben werden können.
Dies ist nur ein Ausschnitt der Vorteile: Das Spektrum ist riesig.
Welche Punkte machen für dich ein erfolgreiches D2C Business aus?
Der wichtigste und übergreifende Erfolgsfaktor für D2C ist, dass die Strategie konsequent gedacht und konsequent umgesetzt wird. Das hat viele Facetten.
Es fängt natürlich an mit sauberen, fehlerarmen und skalierbaren operativen und technischen Prozessen. Insbesondere E-Commerce Technologie entwickelt sich zwar einerseits innovativ ständig weiter, aber sie demokratisiert sich auch und stellt immer bessere Standardlösungen zur Verfügung Trotzdem: Ein sauberes operatives und technisches Setup ist ein Muss. Ansonsten komme ich auch nicht die Lage, alle daten- oder sogar AI-getriebenen Vorteile richtig zu nutzen.
Eine gute, auf B2C ausgerichtete Logistik ist ebenfalls eine zu meisternde Einstiegsbarriere. Es ist etwas komplett anderes, im B2B Business Paletten zu verschicken oder im D2C einzelne Pakete. Die Logistik muss gut mit dem Customer Service verbunden sein, bspw. wenn im Paket etwas fehlt. Und Retouren kommen ja auch hinzu.
Aber sowohl die operativ-technischen Fähigkeiten als auch die Logistik sorgen nur dafür, dass der Hersteller gut verkaufen kann. Jetzt kommen zwei Ebenen dazu, die dafür sorgen, dass er auch tatsächlich verkauft:
- Ich muss mein Online-Marketing, also das Aufbauen von Traffic professionalisieren, auf Performance und auf Conversion trimmen – mit viel größeren Budgets
- Ich muss konsequent kundenorientiert denken. Customer Centricity wird essentiell. Ganz wichtig dabei ist auch, den eigenen Vertriebskanälen eine ausreichende wirklich attraktive Value Proposition zu geben. Auch eine Top-Brand wird über den eigenen Webshop nicht verkaufen, wenn Kund:innen das Produkt zu einem besseren Preis und mit schnellerer Lieferung bei einem Händler oder Marktplatz kaufen können.
Was sind die wichtigsten Hürden, die man für D2C Erfolg beachten muss? Und wie kann man sie meistern?
Zwei große Hürden muss man im Griff haben, 1) die Hürde „Budget und Komplexität“ und 2) die Hürde „Transformation“.
Budgets und Komplexität steigen – es ist eben ein neues Business Model, das sich auf anderen Ebenen bewegt als bspw. Omnichannel Marketing alleine. Es kommen Sales und Service hinzu, die integriert gesteuert werden, mit einem viel komplexeren operativen Setup und Tech Stack. Das kann ich nur managen, wenn ich einen guten Business Case habe und das Business Model auch wie ein Business steuere.
Zusätzlich benötigt man ein ausgereifteres Business Monitoring, wozu insbesondere ein ganz neues Set an KPI kommt, denn neben Produkt-KPI kommen nun Customer KPI wie Customer Base, Customer Lifetime Value, Churn, Customer Acquisition Costs oder Customer Retention Costs hinzu. Dazu gehört auch ein ausgereiftes Performance Monitoring, mit gutem Durchmessen aller Treiber-Wirkungslogiken. Aber dafür ist Omnichannel Marketing & Sales grundsätzlich hervorragend geeignet.
Die zweite große Hürde ist die Transformationshürde. Diese ist wahrscheinlich die am meisten unterschätzte Herausforderung, noch vor dem Thema Customer Centricity und gleichzeitig auch damit verbunden. Natürlich wird es Diskussionen mit den bestehenden Retail-Partnern geben, insbesondere, wenn bspw. auch die Preise auf dem eigenen D2C Shop wettbewerbsfähig werden. Gleichzeitig ist klar: Ohne wettbewerbsfähige Preise wird man im eigenen D2C Shop nichts verkaufen.
Transformiert werden müssen auch interne Arbeitsweisen und Planungs- und Priorisierungsaktivitäten. Wenn für erfolgreiches D2C notwendig ist, dass Marketing, Sales und Service integrierte Experiences schaffen, dann müssen sie auch integrierter gemanaged werden. Von diesen Transformationen profitieren Hersteller aber auch insgesamt und übergreifend.
Hersteller müssen sich nur darüber im Klaren sein, dass man die Transformation genauso konsequent angehen muss wie den Aufbau der eigenen Capabilities und den Aufbau wettbewerbsfähiger Value Proposition der D2C Kanäle. Es muss alles aufeinander abgestimmt sein. Aber dann kann D2C auch seine ganze Kraft als mächtiges Business Model entfalten, sowohl für B2C- als auch für B2B-Hersteller.