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13. März 2019

Bild: Prof. Dr. Werner Reinartz und Boris Hedde in der Universität zu Köln

Das Thema Strukturwandel begleitet das Institut für Handelsforschung schon lange. Angefangen mit der Wirtschaftskrise 1929, über Kundenverkehrsuntersuchungen bis hin zu den „Vitalen Innenstädten“. Boris Hedde, Geschäftsführer des IFH KÖLN und Prof. Dr. Werner Reinartz, Direktor des IFH, haben sich anlässlich des Jubiläums und der jüngsten Erkenntnisse zum Thema über den Strukturwandel im Handel unterhalten.

Boris Hedde: Das Thema Strukturwandel und Innenstadtfrequenz beschäftigt uns schon lange. Die Frage ist, ist es eine gute oder eine schlechte Nachricht, dass sich an der Brisanz des Themas offenbar nichts geändert hat.

Werner Reinartz: Der stationäre Handel definiert sich aus dem Aspekt der Räumlichkeit. Das sogenannte Huff-Modell, das die Attraktivität eines Handelsstandortes als Funktion der Distanz, die zurückgelegt werden muss, definiert, wurde bereits in den 1930er Jahren formuliert. Zu diesem Zeitpunkt gab es die Herausforderungen durch die Digitalisierung noch nicht – das Problem der Frequenz aber sehr wohl. Dieses wird heute durch die Digitalisierung deutlich verschärft.

BH: Wenn wir auf die großen Einschnitte im Handel schauen, sehen wir, Frequenz ist nicht immer aber häufig Teil der Disruption. Schon wenn wir beim Thema Discount auch die Outlet-Welt mitbetrachten, schauen wir uns Frequenzverschiebungen an. Anbieter auf der grünen Wiese haben zu einer räumlichen Verschiebung geführt. Und bei der Digitalisierung sprechen wir über eine Verschiebung von Frequenzen in andere Vertriebskanäle.

WR: Und wir sprechen über die Verschiebung der Kaufkraft auf die digitale Wiese. Kaufkraft, Frequenz und Attraktivität gehören zusammen.

BH: Deshalb beschäftigen wir uns mit der Untersuchung „Vitale Innenstädte“ mit der Frage, welche Möglichkeiten es für Innenstädte gibt, mithilfe digitaler Lösungen attraktiver zu werden.

WR: Richtig, es muss darum gehen, Mehrwerte durch Integration zu schaffen. Die rein stationäre Präsenz gehört als Modell der Vergangenheit an.

BH: Wie können Aufenthaltsqualität und Shoppingbereitschaft mithilfe digitaler Angebote erhöht werden? Hierfür muss auf die Visitor Journey eingegangen werden.

These: Die Innenstadt der Zukunft besteht nur noch aus Showrooms sowie gastronomischen und weiteren Freizeitangeboten. Bedarfsdeckung nur digital und Freizeitgestaltung in der Innenstadt.

WR: Das halte ich im Moment für eine Utopie. Es sollte nicht unterschätzt werden, dass viele Konsumenten die Produkte nicht nur vor Ort anschauen, sondern auch direkt einpacken und mitnehmen möchten.

BH: Trotzdem bleibt die Frage, ob sich Shopping nicht immer mehr zum Teil der Freizeit entwickelt – zumindest in bestimmten Zielgruppen und an bestimmten Standorten. Wo findet Bedarfsdeckung und wo Freizeitgestaltung statt?

WR: Shopping als Freizeitgestaltung sehe ich nicht zu 100 Prozent. Auch Themen wie Nachhaltigkeit und bewusster Konsum werden immer substanzieller.

BH: Stimmt – trotzdem funktionieren Outlets an der Landesgrenze, in denen Konsumenten lange verweilen und das Freizeitangebot nutzen.

WR: Aber auch Outlet-Konzepte lassen sich nicht beliebig skalieren.

BH: Das ist genau die Problematik der Innenstädte. Viele Handelsstandorte wird es perspektivisch nicht mehr geben. Da spielen auch Kaufkraft und Bevölkerungszahl eine Rolle. Auch das „Schrumpfen“ will organisiert werden. In welchen Orten lohnt es sich noch Filialen zu eröffnen? Wie werden Mietlaufzeiten gestaltet? Wo können sich Handelsunternehmen zusammentun, um gemeinsam Kaufkraft abzuschöpfen?

WR: Es ist eine Standortfrage. Es geht ja nicht um die Hochfrequenzorte, sondern um die vielen kleineren Standorte oder Stadtteile, die mit Frequenzverlusten kämpfen.

BH: In Köln starten wir aktuell im Rahmen von VITAIL ein Projekt zur Frequenzsicherung im Veedel. Ein Loyalty-Programm mit lokalem Bezug. Zum Start in Vierteln, wo noch ausreichend Frequenz, ein attraktiver Händlermix und Kaufkraft verfügbar sind. Die Idee ist, Mehrwerte zu generieren, die der Konsument in seinem Umfeld spürt. Es werden geldwerte Punkte gesammelt, die dann einem Verein oder der KITA vor Ort zugutekommen. Wir sind gespannt!

Ein weiterer Punkt ist mir wichtig: Zwar brauchen wir unterschiedliche Konzepte für Standorte, aber die Prozesse sind ähnlich. Überall gibt es Interessen und politische Ziele, die unter einen Hut gebracht werden müssen. Oberstes Ziel dabei muss die Besucherzentrierung sein.

WR: Trotzdem müssen auch weitere Faktoren stimmen: ÖPNV und Parkplätze, Sauberkeit, Aufenthaltsattraktivität, Geschäfte, Services, Dienstleistungen. Und man muss sich darüber im Klaren sein, dass nicht jede Stadt in Rothenburg ob der Tauber verwandelt werden kann. Es müssen realistische Ansätze im Sinne von Machbarkeit, Aufwand und Kosten her.

BH: Absolut. Es geht einerseits darum, die größten Pain Points und niedrigschwellige Verbesserungsansätze zu identifizieren. Andererseits muss auch geschaut werden, welches die positiven Treiber sind, um einen Standort in die Zukunft zu führen. Da sind wir wieder bei dem Thema Digitalisierung.

Und, Konzepte, die alle Zielgruppen bedienen wollen, sind auch nicht unbedingt erfolgreich. Handelsstandorte müssen sich mit ihrer Positionierung beschäftigen. Manche Städte wie z. B. Langenfeld, die in der Nähe von Touristenmagneten liegen, werden mit Erlebnis nicht punkten können, mit Bequemlichkeit aber vielleicht schon.

WR: Früher gab es den Begriff des „Handelskümmerers“. Aber ich bin skeptisch, inwiefern sich Unternehmen tatsächlich nachhaltig beeinflussen lassen.

BH: Aber vielleicht kann ich die Rahmenbedingungen beeinflussen – saubere Straßen, ordentliche Grünflächen. Städte müssen sich auch etwas hübsch machen, um für den Einzelhandel attraktiv zu sein. Einflussfaktor Nummer eins für eine attraktive Innenstadt ist das Ambiente. Neben Fassaden und Co. zählt dazu z. B. auch, wie viele Werbeaufsteller auf den Bürgersteigen stehen. Für den Handel sind diese Störer gut, für das Ambiente eher weniger.

WR: Und schon ist man wieder in einer spannenden Diskussion zwischen Handel und Kommune, wenn es um die Durchsetzung der eigenen Interessen geht.

BH: Genau aus diesem Grund ist es so wichtig, die Maßnahmen für attraktive Innenstädte konsequent aus der Besuchersicht zu denken – und zwar von allen Beteiligten.

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