Neues aus der Handelswelt
Mit Forschung und Beratung erfolgreich im Handeln
#Verstehen
#Planen
#Machen
#Teilen
Expertise für Handel im digitalen Zeitalter
Menu
Hier findet ihr unsere Studien 
Themen
Branchen
Spannende Projekte aus der IFH Welt
DIe EVENTS DES IFH KÖLN
24. März 2022

200 Rechtstipps für das ECC KÖLN

200 Beiträge in Form von Rechtstipps von Autor Rolf Becker, ECC CLUB Mitglied und Gründungspartner der Rechtsanwälte WIENKE & BECKER, seit August 2005 und damit mehr als 16 Jahre sind ein kleines Jubiläum. Regelmäßig erhalten die Leser:innen damit Praxistipps zu neuen Gesetzen, Urteilen, Datenschutz und Marketing. Der Autor bedankt sich für das Interesse, kommt aber angesichts jüngster Entwicklungen zu einem aktuellen Thema: Höhere Gewalt in Zeiten von Pest und Cholera

Der russische Einmarsch und völkerrechtswidrige Angriffskrieg gegen die Ukraine haben Sanktionsmaßnahmen ausgelöst und auch Boykottmaßnahmen nicht nur in der EU und den USA. Lieferketten sind unterbrochen, Lieferungen und Reisen werden unmöglich. Da geht der Blick nach den Herausforderungen der Pandemie, die noch andauern, erneut zur Force Majeure, zur Höheren Gewalt.

 

Wann liegt Höhere Gewalt vor?

Nach der Rechtsprechung des BGH ist Höhere Gewalt ein, "von außen kommendes, keinen betrieblichen Zusammenhang aufweisendes, auch durch äußerste vernünftigerweise zu erwartende Sorgfalt nicht abwendbares Ereignis" (BGH, Urt. v. 16.05.2017, Az. X ZR 142/15).

Die Gerichte stellen also hohe Anforderungen an das Vorliegen.

Im B2B-Verhältnis mit Auslandsbezug wird häufig das UN-Kaufrecht zur Anwendung gebracht. Dort ist die Höhere Gewalt in Art. 79 CISG geregelt.

 

Art. 79

(1) Eine Partei hat für die Nichterfüllung einer ihrer Pflichten nicht einzustehen, wenn sie beweist, daß die Nichterfüllung auf einem außerhalb ihres Einflußbereichs liegenden Hinderungsgrund beruht und daß von ihr vernünftigerweise nicht erwartet werden konnte, den Hinderungsgrund bei Vertragsabschluß in Betracht zu ziehen oder den Hinderungsgrund oder seine Folgen zu vermeiden oder zu überwinden.

(2) Beruht die Nichterfüllung einer Partei auf der Nichterfüllung durch einen Dritten, dessen sie sich zur völligen oder teilweisen Vertragserfüllung bedient, so ist diese Partei von der Haftung nur befreit,

a)wenn sie nach Absatz 1 befreit ist und

b)wenn der Dritte selbst ebenfalls nach Absatz 1 befreit wäre, sofern Absatz 1 auf ihn Anwendung fände

(3) Die in diesem Artikel vorgesehene Befreiung gilt für die Zeit, während der der Hinderungsgrund besteht.

(4) Die Partei, die nicht erfüllt, hat den Hinderungsgrund und seine Auswirkung auf ihre Fähigkeit zu erfüllen der anderen Partei mitzuteilen.

Erhält die andere Partei die Mitteilung nicht innerhalb einer angemessenen Frist, nachdem die nicht erfüllende Partei den Hinderungsgrund kannte oder kennen mußte, so haftet sie für den aus diesem Nichterhalt entstehenden Schaden.

(5) Dieser Artikel hindert die Parteien nicht, ein anderes als das Recht auszuüben, Schadenersatz nach diesem Übereinkommen zu verlangen.

 

Das Ereignis muss also nicht beherrschbar, unvorhersehbar, unabwendbar und ursächlich für das Leistungshindernis sein.

Grundsätzlich ist zur Feststellung von Höherer Gewalt immer auf den Einzelfall abzustellen und deutsches Recht ist hier häufig strenger als das ausländische Recht. Ein Krieg fällt jedenfalls grundsätzlich darunter, aber auch darauf beruhende staatliche oder behördliche Maßnahmen mit entsprechend gravierenden Auswirkungen. Damit bestehen auch ohne Erwähnung in den Klauseln dazu Chancen, sich bei entsprechenden Auswirkungen auf die Lieferfähigkeit auf höhere Gewalt zu berufen.

 

Wegfall der Geschäftsgrundlage

Im deutschen Recht sind hier Fragen von Unmöglichkeit und Wegfall der Geschäftsgrundlage angesprochen. Das ist der Fall, wenn etwa Monteure nicht mehr nach Russland fliegen können oder Angst haben müssen, wieder ausreisen zu können, Zahlungsmöglichkeiten durch Überweisungsbeschränkungen (Stichwort SWIFT) entfallen oder bei Devisen beschränkt werden und Güter auf Embargolisten landen. Unter dem Titel Anpassung und Beendigung von Verträgen sieht das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in § 313 Regelungen zur Störung der Geschäftsgrundlage vor. Diese Regelungen gelten grundsätzlich auch im Rechtsverkehr mit Verbraucher:innen.

 

(1) Haben sich Umstände, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, nach Vertragsschluss schwerwiegend verändert und hätten die Parteien den Vertrag nicht oder mit anderem Inhalt geschlossen, wenn sie diese Veränderung vorausgesehen hätten, so kann Anpassung des Vertrags verlangt werden, soweit einem Teil unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls, insbesondere der vertraglichen oder gesetzlichen Risikoverteilung, das Festhalten am unveränderten Vertrag nicht zugemutet werden kann.

(2) Einer Veränderung der Umstände steht es gleich, wenn wesentliche Vorstellungen, die zur Grundlage des Vertrags geworden sind, sich als falsch herausstellen.

(3) Ist eine Anpassung des Vertrags nicht möglich oder einem Teil nicht zumutbar, so kann der benachteiligte Teil vom Vertrag zurücktreten. An die Stelle des Rücktrittsrechts tritt für Dauerschuldverhältnisse das Recht zur Kündigung.

 

Auch wenn das deutsche Recht damit höhere Gewalt nicht unmittelbar regelt, bestehen damit grundsätzlich Möglichkeiten zur Anpassung eines Vertrags, seiner Rückabwicklung oder Kündigung. Allerdings muss immer der Einzelfall und die vertragliche Regelung betrachtet werden und die dort zum Ausdruck kommenden Risikoübernahmen. Dies ist z.B. bei Spekulationsgeschäften offensichtlich. Aber auch in bestimmten Festlegungen kann eine Risikoübernahme gesehen werden. Wer etwa zum Festpreis liefert, der trägt grundsätzlich das Risiko, dass sich die Grundlagen für die Preisfindung ändern können. Diese Risikotragung ist aber nicht unbegrenzt. So wurde z.B. eine Steigerung von 150 Prozent der Lebenshaltungskosten und eine Entwertung um 60 Proeznt als Opfergrenze angesehen.

 

Unmöglichkeit

Auch die Regelungen zur Unmöglichkeit in § 275 BGB können helfen.

 

(1) Der Anspruch auf Leistung ist ausgeschlossen, soweit diese für den Schuldner oder für jedermann unmöglich ist.

(2) Der Schuldner kann die Leistung verweigern, soweit diese einen Aufwand erfordert, der unter Beachtung des Inhalts des Schuldverhältnisses und der Gebote von Treu und Glauben in einem groben Missverhältnis zu dem Leistungsinteresse des Gläubigers steht. Bei der Bestimmung der dem Schuldner zuzumutenden Anstrengungen ist auch zu berücksichtigen, ob der Schuldner das Leistungshindernis zu vertreten hat.

(3) Der Schuldner kann die Leistung ferner verweigern, wenn er die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Gläubigers nicht zugemutet werden kann.

(4) Die Rechte des Gläubigers bestimmen sich nach den §§ 280, 283 bis 285, 311a und 326.

 

Es ist zu prüfen, ob eine objektive Unmöglichkeit besteht. Waren gleicher Art und Güte können allerdings oft auch anderweitig erworben werden. Das mag teurer sein und schwierig, aber es ist eben nicht objektiv oder subjektiv für die Verkäufer:innen unmöglich. Sie tragen grundsätzlich das Beschaffungsrisiko.

Es kann allerdings auch ein Fall wirtschaftlicher Unmöglichkeit vorliegen (§ 275 Abs. 2 S. 1 BGB). Die Ware ist beschaffbar, aber nur mit einem Aufwand, den kein vernünftiger Mensch betreiben würde. Die Rechtsprechung ist hier aber streng. Es muss eine wirtschaftliche Zumutbarkeit deutlich überschritten sein (Stichwort „Opfergrenze“). Geht es nur um erhöhte Beschaffungskosten, stehen die Chancen schlecht.

Steht aber z.B. das Liefergut plötzlich auf der Embargoliste, dann platzt das Geschäft.

 

Leistungspflichten bei Höherer Gewalt

In Verträgen werden die Folgen für Höhere Gewalt häufig geregelt. Die Leistungspflichten ruhen meist erst einmal zeitlich beschränkt. Kommt es hierdurch zu Schäden, muss jede:r den eigenen Schaden zunächst selbst tragen. Ein Verzug liegt dann nicht vor. Für Vertragsstrafen fehlt es am Verschulden. Häufig ist dann ein Kündigungsrecht für den Fall vorgesehen, dass das Ereignis über einen bestimmten Zeitraum hinweg die Leistungen hindert.

Generell ist es immer zu empfehlen, frühzeitig Hindernisse schriftlich gegenüber dem Vertragspartner anzuzeigen und Angaben zu betroffenen Leistungen und der voraussichtlichen Dauer der Behinderung zu machen, wenn das möglich ist.

 

Deckungskauf

Droht dem Käufer oder der Käuferin selbst Schaden, kann er oder sie nach entsprechender angemessener Fristsetzung statt der Leistung einen Deckungskauf tätigen und sich die Leistung anderweitig beschaffen. Die Differenzkosten bei einem höheren Preis zu gleichartiger Ware sind dann vom Lieferanten zu tragen (BGH, Urteil vom 09.11.1988 - VIII ZR 310/87). Sie sollten aber vor dem Deckungskauf in jedem Fall den erfolglosen Ablauf gesetzter Fristen abwarten. Sonst gibt es kein Geld.

 

Fazit:

Prüfen Sie Ihre vertraglichen Vereinbarungen. Wenn Sie neue Vereinbarungen schließen, sollten Sie auf jeden Fall sicherstellen, dass eine Klausel zur höheren Gewalt enthalten ist. Diese sollte neben Krieg und behördlichen Maßnahmen auch Pandemie, Quarantäne und Epidemien abdecken und die Folgen regeln. Sind Sie betroffen, ist immer zu raten sofort in den Austausch mit dem Vertragspartner zu gehen. Versuchen Sie für beide Seiten angemessene Regelungen zu finden und halten Sie diese schriftlich fest.

Bild von Rolf Becker

ÜBER DEN AUTOR

Rechtsanwalt Rolf Becker ist Partner der Rechtsanwälte WIENKE & BECKER in Köln und Autor von Fachbüchern und Fachartikeln zum Wettbewerbsrecht, Markenrecht und Vertriebsrecht insbesondere im Fernabsatz. Als Mitglied im ECC CLUB kommentiert Rechtsanwalt Becker für das ECC KÖLN regelmäßig aktuelle Urteile zum Online-Handel und gibt Händlern praktische Tipps, wie sie mit den gesetzlichen Vorgaben umgehen sollen. 

RA Becker auf Twitter: http://twitter.com/rolfbecker   

Er ist auch Autor auf den Informationsdiensten www.versandhandelsrecht.de.

PRESSEHINWEISE

Gerne dürfen Sie den Text von Herrn Becker redaktionell weiterverwenden. Bitte geben Sie hierbei die URL zum Rechtstipp sowie folgende Quelle an: RA Rolf Becker WIENKE & BECKER / ECC Rechtstipp. Bitte senden Sie ein Belegexemplar bzw. den Link zur Veröffentlichung an presse(at)ifhkoeln.de. Vielen Dank!

Newsletter handel im fokus

Holen Sie sich die neueste Forschungserkenntnisse und aktuelle Themen, Trends und Hintergründe rund um Einzel-, Großhandel und E-Commerce wöchentlich in Ihr Postfach.
cartmagnifiermenu