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Boris Hedde

Gut gemeint ist nicht zwangsweise gut gemacht. Die neuen Regelungen rund um die Ladenöffnungen in der Coronakrise führen zu Wettbewerbsverzerrungen durch Ungleichbehandlung. Zudem schützen sie gar nicht die zu Schützenden; wie ursprünglich intendiert. Denn die großen, Frequenz sichernden Handelsunternehmen am Standort, die geschlossen bleiben sollen, sind die Basis für den Erfolg der kleineren Anbieter vor Ort.

Bund und Länder hatten sich darauf geeinigt, dass unter Einhaltung festgelegter Hygieneregeln innerstädtisch Geschäfte mit einer Fläche bis  800 Quadratmetern wieder öffnen dürfen. In Rheinland-Pfalz, Niedersachsen, Hessen, Hamburg, Schleswig-Holstein und im Saarland dürfen auch größere Filialen öffnen, wenn sie im Geschäft die erlaubten 800qm abgrenzen. In Schleswig-Holstein, Brandenburg und Niedersachsen dürfen zudem auch Geschäfte mit bis zu 800 Quadratmetern öffnen, die in Einkaufszentren liegen. Auch beim Starttermin wird es Unterschiede geben. Gleichwohl beginnen die Lockerungen in den meisten Bundesländern am heutigen Montag, dem 20. April.
Das hinter der Strategie zur Lockerung liegende Motiv ist die Vermeidung eines zu großen Andrangs in den Innenstadtlagen und die Gefahr damit einhergehender stark ansteigender Infektionsketten.

Mit den Regeln zur Lockerung des Shutdowns ergeben sich eine Reihe von Fragen:

1) Warum 800 qm?

Offenbar diente als Orientierung für die Entscheidung, dass laut Baurecht Geschäfte mit mehr als 800 Quadratmetern als Sonderbauten gelten. Hier stellt sich die Frage, wo die direkte Verbindung zu Corona und den Ansteckungsrisiken besteht. Klar ist, dass besondere Hygieneregeln eingehalten werden müssen zum Schutz der Kund*innen und Mitarbeiter*innen. Dies gilt jedoch für Geschäfte jeder Größe. Wir haben für uns am IFH KÖLN einmal exemplarisch berechnet, welche Wirkung die Teilöffnung für den Textilhandel bedeutet. Demnach erhalten mit der neuen 800 qm-Regel etwa zweidrittel der Mitarbeiter*innen Zugang zu Ihrer Arbeit und damit zur Sicherung des Arbeitsplatzes. Für das Drittel an Mitarbeiter*innen, die in größeren Handelsunternehmen tätig sind, bedeutet die Lösung jedoch das Gegenteil. Es mag die Einschätzung vorgelegen haben, dass größere Unternehmen die Krise scheinbar besser meistern können.

2) Warum mal so und mal so?

Es stellt sich die Frage, woher die unterschiedlichen Beurteilungen herrühren. Vorstellbar ist, dass die verschiedenen Bundesländer aktuell unterschiedlich stark von Corona betroffen sind. Die föderale Struktur passt jedoch nicht zu einer Branche, die zeigt, dass vor allem bundesweite Skalierung möglichst große Filialnetze und wirtschaftliche Rentabilität garantieren. Entsprechend wichtig sind möglichst wenige Unterschiede bei Reglungen, um Implementierung möglichst effizient zu erwirken.

3) Wie sieht der langfristige Plan aus?

Neben der Heterogenität auf regionaler Ebene ist auch die Auswahl der Handelsbranchen und Sortimente für die ersten Lockerungen nicht nachvollziehbar. So können z. B. Autohändler öffnen, Baby- und Kinderausstatter jedoch nicht. Da keine prozessbezogenen Aussagen oder Hintergründe getätigt wurden, stellt sich die Frage nach einem Langfristplan. Dieser ist elementar, um wirtschaftliche Planungssicherheit auf Ebene der Kostenstruktur für Unternehmen zu ermöglichen. Dabei geht es nicht zwangsweise um einen genauen Terminplan, der vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie natürlich sehr schwierig ist. Dennoch können klare Abfolgen und kommunizierte Prozessschritte helfen, betriebswirtschaftliche Einschätzungen und Hochrechnungen vorzunehmen.

Wettbewerbsverzerrung als Folge

Grundsätzlich sind mit den aufgesetzten Reglungen zur Lockerung Wettbewerbsverzerrungen zu befürchten. Eine willkürliche Festsetzung von QM-Flächen zur Festlegung und Klassifizierung, welche Unternehmen öffnen können und welche nicht, ist vor dem Hintergrund Wettbewerbsgleichheit die falsche Lösung, um erwartete Besuchsanstürme in der Innenstadt zu vermeiden.
Es mag auch überlegt worden sein, dass große Handelsunternehmen die Krise leichter überstehen. Hier läge ein Trugschluss vor. Mit Blick auf die Kostenstruktur und notwendigen Mieten im Vergleich zu inhabergeführten Unternehmen, bei denen die Immobilie des Geschäfts sich oft im Eigentum des Händlers befindet und Familienmitglieder mitwirken, ist nicht klar, welches Handelsformat längeren Atem in puncto Überlebenssicherung hat. Die wirtschaftliche Vorleistung bei der Order ist in großen Unternehmen ungleich höher, so dass ungeachtet dessen, ob ein Handelsformat im Vorteil ist, automatisch eine Wettbewerbsverzerrung folgt.
Ironischerweise ergibt sich auch ein Effekt der negativen Verzerrung gegen intendiert geschützte inhabergeführte Unternehmen. Denn Letztere benötigen die Öffnung der großen Anbieter im Einzugsgebiet, um mit ausreichend Besuchsfrequenz auch ihr Geschäftsmodell in Zeiten steigenden Onlinehandels erfolgreich zu betreiben. Denn dieser ist in vielen Branchen – sowohl für kleinere, als auch für größere Anbieter – eine immer größer werdende Konkurrenz, insbesondere in Zeiten des „Social Distancing“. Das belegen auch die Daten des Corona Consumer Check, einer IFH-Studie zu dem Konsumverhalten in Zeiten von Corona. Während allerdings Mitte März die befragten Konsument*innen noch angaben, in erster Linie mehr haltbare Lebensmittel und Hygieneartikel online zu bestellten, ergab die Befragung Mitte April eine deutliche Verschiebung in den Bereich Kleidung und Schuhe – also jene Branche, die besonders präsent in deutschen Innenstädten sind.

… und was ist mit der Innenstadt als Zentrum des physischen gesellschaftlichen Lebens?

3+ war die Schulnote, die Innenstadtbesucher*innen bei der IFH-Studie „Vitale Innenstädte“ sowohl in 2016 als auch in 2018 Deutschlands Innenstädten in puncto Attraktivität im Durchschnitt gaben. Schon damals wurde abgeleitet, dass die Bewertung nicht ausreicht, um für Anbieter im Bereich Handel, Gastronomie, Dienstleistung und Handwerk ein Umfeld zu ermöglichen, welches Zukunftsfähigkeit sicherstellt.

Und jetzt kommt der mit der Corona-Krise verbundene Shutdown in den Innenstädten!

Damit Geschäftsmodelle der Innenstadt funktionieren, bedarf es der regionalen Kooperation. Sie hilft das Marketing zu stären sowie Kosten für die Besucherfrequenz zu bündeln und damit für jeden einzelnen zu reduzieren. In der Konstellation nichtparitätischer Öffnung von Geschäften, geht ein wichtiger Hebel verloren, von dem alle Anbieter und damit der Kosmos Innenstadt als Ganzes profitiert. Wir sind in Sorge, welche Ergebnisse die für dieses Jahr im Herbst angesetzte Neuauflage der Studie „Vitale Innenstädte“ bereithalten wird. Klar ist jetzt schon, dass digitale Ansätze mit der Krise gefördert werden, dass aber auch Quantität und Qualität bei Lösungen und Anbietern zu differenzieren sind. Hier wird der lokalen Wirtschaftsförderung eine besondere Bedeutung zukommen. Auch deshalb wurde mit dem IFH KÖLN eine Initiative gestartet, um den Austausch im Bereich Wirtschaftsförderung, Stadtmarketing und Citymanagement zu stärken. Unter anderem wurde eine spezifische LinkedIn-Gruppe mit dem Titel „Innenstadt und Corona: WIFÖ packt mit an!“ ins Leben gerufen.

Wie kann eine erfolgreiche Strategie zur Lockerung des Shutdown dann aussehen?

Statt Reglungen zu versuchen, auf Seiten des Handels mit wenig passenden Metriken zu agieren, könnten alternative Lösungen bei den Besuchern der Stadt selbst zu finden sein. Es ist zu überlegen, wie Besuche und Besuchsfrequenzen kanalisiert oder speziell durch Anreize gelotst werden können. Im Rahmen des zuletzt durch das IFH KÖLN durchgeführten Retail Hackathons ergaben sich erste Überlegungen und Ansätze. Die Aufgabe dort bestand darin, unternehmens-, branchen- und disziplinübergreifend möglichst ausgereifte und kreative Konzepte für die Zukunft zu entwickeln. Knapp 150 Experten haben digital in Arbeitsgruppen Lösungen erarbeitet. Neben vielen anderen wurden auch für die Themen Innenstadt und für die Strategie der Lockerung Ideen generiert.

Insgesamt ist mit Blick auf die Lockerungen zu hoffen, dass eine befürchtete Rabattschlacht der Handelsanbieter ausbleibt und so Wert und Wertschöpfung nicht verloren gehen. Die Innenstadt ist Gefahren- und Chancenpotenzial in einem. Hier gilt es anzusetzen. Wenn Besucher*innen sensibilisiert, motiviert und incentiviert werden, kann der Gefahr der Besucherströme und damit der Ansteckung auch anders begegnet werden als durch die bisherigen Regeln. Wünschenswert wären Ideen aus dem Zusammenschluss der unterschiedlichen Verbände, Forschungsanbieter und Dienstleistern, um gemeinschaftlich wertschöpfende Lösungen zu finden.

Das IFH KÖLN steht bereit, sich in einem solchen Prozess tatkräftig zu engagieren …

 

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