Aus China wird uns Großes über das sogenannte Live Shopping berichtet. Eine halbe Nation scheint im Bann des neuen Shoppingformats. Eine neue Wunderwaffe des Verkaufens scheint gefunden. Hier ein paar Zahlen als Beleg:
- Im Jahr 2019 haben 30 Prozent der chinesischen Bevölkerung, also etwa 430 Millionen Konsument:innen, Shopping per Live-Stream verfolgt. Für 2020 wird ein deutliches Wachstum auf 39 Prozent und 560 Millionen Konsument:innen berichtet.
- Im Jahr 2020 wurde im Vergleich zu 2019 mehr als 100 Prozent mehr Umsatz per Live-Streaming erzielt. Mittlerweile macht Live Shopping fast 10 Prozent des gesamten E-Commerce in China aus.
Das schafft Anreize, auch in Deutschland per Streaming zu verkaufen. Dies umso mehr, als Pandemiemaßnahmen den Verkauf über den stationären Kanal teils stark einschränken, teils gänzlich unterbinden. Alternative Formate sind daher gefragt. Douglas berichtet bereits Erfolge mit Live Shopping, Tchibo ebenso. Bahnt sich also hier ein neues Verkaufsformat mit großer Durchschlagskraft an?
Werfen wir dazu einen Blick auf den Corona Consumer Check des IFH KÖLN, der nunmehr in der neunten Befragungswelle Konsumentinnen und Konsumenten nach ihren Einstellungen und Verhaltensweisen fragt. In der aktuellen Ausgabe stand das Live Shopping neben anderen Services wie Click & Collect und Click & Meet im Fokus. Was verraten uns die frisch erhobenen Daten über die Zukunft des Live Shopping?
Zunächst einmal, dass Live Shopping aktuell noch keine Breitenwirkung entfaltet. Grade mal vier Prozent der Konsument:innen geben an, Live Shopping genutzt zu haben. Viel Wind um wenig, könnte man meinen. Oder: Kaum gestartet, schon gescheitert.
Wir sagen Nein, und zwar aus den folgenden vier Gründen:
- Live Shopping hat vor allem bei jüngeren Konsumentinnen und Konsumenten (18 bis 29 Jahre) hohe Attraktivität und hohe Nutzungsbereitschaft. In China haben die Jüngeren das Live Shopping für sich entdeckt und in der gesamten Bevölkerung popularisiert. Die ältere Zielgruppe ist nach und nach aufgesprungen. Auch für Deutschland kann ein solcher Ausbreitungseffekt erwartet werden, wo jugendliche Streamingbegeisterung auf ältere Generationen abstrahlt.
- Live Shopping entfaltet sich je nach Branche und Warengruppe unterschiedlich. „Lasst 100 Blumen blühen“, hat Mao von seinen Landsleuten gefordert. Beim Live Shopping in Deutschland blüht vor allem der Produktbereich Beauty und Kosmetik, auch Fashion per Streaming ist für die jüngere Zielgruppe attraktiv. Was im Gesamthandel nicht abhebt, kann in bestimmten Produktbereichen und für bestimmte Zielgruppen ein Erfolgsmodell sein. Der „Lipstick King“ Jiaqi Li hat 6,5 Millionen Follower auf Taobao Live und verkauft 15.000 Lippenstifte in fünf Minuten Streaming. Auch der deutsche Lippenstift-König könnte sich in naher Zukunft auf den Streaming-Thron setzen.
- Live Shopping punktet mit innovativer Customer Experience. Click & Collect und Click & Meet erweisen sich als hilfreich und nützlich, sie sind pragmatische Wege, um unter Pandemiebeschränkungen an gewünschte und bestellte Ware zu gelangen. Sie funktionieren auch. Wirklich begeistern tun sie jedoch nicht. Die Beratung im stationären Kanal steht als Sehnsuchtsmodell immer im Hintergrund. Live Shopping dagegen kann mit Bequemlichkeit und innovativen Interaktionsformen für sich werben. Das ist mehr als „im Augenblick nützlich“ zu sein.
- Live Shopping hat das vergleichsweise höchste Nach-Krisen-Potenzial. Ein Flächenbrand der Begeisterung ist nicht entzündet. Aber eine Basis der Nutzungsbereitschaft ist vorhanden, die über die Krise hinausweist. Wer einmal im Streaming geshoppt hat, will das häufiger auch nach der Krise fortsetzen, vor allem, wenn er/sie das zarte Alter von 30 nicht überschritten hat.
Ist der Beweis für die Zukunft des Live Shopping damit erbracht? Zumindest die ersten Anzeichen stehen auf Wachstum und Zukunftsfähigkeit. Aus Gesprächen im Handel wissen wir, dass neue Live-Streamings auf der Startrampe stehen. Ein weiterer Anschub kommt also noch. Der nächste Corona Consumer Check wird den Punktestand dann ablesen.
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Die aktuellen Ergebnisse sowie alle vorherigen Studien des Corona Consumer Check finden Sie hier.