Der Handel bangt um seine Fachkräfte! Eine Schlagzeile, die mehr und mehr für Wirbel sorgt, da die Auswirkungen dieses Notstandes teils sehr massiv sind: Unbesetzte Stellen, Überstunden beim Personal und längere Lieferzeiten sind da nur Beispiele. Und auch die digitalen Talente (1) sehen sich teils täglich mit dem Fachkräftemangel konfrontiert. Die Folge: Unzufriedenheiten und Frust, der zukünftig in eine hohe Wechselbereitschaft umschlagen wird. Das zeigt die neue ECC CLUB Studie. Doch wie können Händler und Hersteller in den aktuellen Zeiten überhaupt geeignetes Personal finden?
Um Fachkräfte erfolgreich zu rekrutieren, ist im Bewerbungsprozess ein Um-denken gefragt. Bisherige Modelle stehen
auf dem Prüfstand. Entscheidend ist neben einer zielgruppenspezifischen Stellenanzeige und der Nutzung zielgruppenrelevanter Social-Media-Kanäle vor allem die Schnelligkeit des internen Auswahlprozesses. Denn lange Wartezeiten auf eine persönliche Antwort werden mitunter sehr stark abgestraft und führen bei den Bewerber:innen
zu Unmut. Insgesamt 75 Prozent der digitalen Talente wünschen sich eine Rückmeldung nach spätestens einer
Woche; bei der Gen Z sind es sogar 80 Prozent. Auf der Unternehmensseite führt dies zu immensen Herausforderungen
und wirft die Frage auf, wie die internen Prozesse beschleunigt und optimiert werden können.

Künstliche Intelligenz als Heilsbringer im Bewerbungsprozess?

Eine Möglichkeit besteht in der Integration von Künstlicher Intelligenz. Über alle befragten Wirtschaftszweige hinweg
werden die automatisierte Suche nach geeigneten Kandidat:innen, die Bewertung von Lebensläufen sowie Prognosen zur Eignung von Bewerber:innen mittels Datenanalyse durchaus als nützlich bewertet. Damit sind die Grenzen, die der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bietet, aber noch lange nicht erreicht. Unternehmen können ihren Bewerber:innen beispielsweise auch einen Chatbot anbieten, der ihnen weiterführende Informationen bereitstellt oder Fragen beantwortet. Darüber hinaus kann Künstliche Intelligenz auch im Bewerbungsgespräch eingesetzt werden und nicht nur Körpersprache und Gesichtsausdrücke analysieren, sondern auch Persönlichkeitsprofile erstellen oder Kompetenzen und
Fähigkeiten ermitteln. Der Einsatz von Künstlicher Intelligenz bei der Auswahl von potenziellen Mitarbeiter:innen soll
mehr Fairness und Diversität schaffen. Doch oftmals stoßen diese Systeme an ihre Grenzen, weshalb Vorsicht geboten
ist, sich komplett auf die Auswahl der Technologien zu verlassen. So wurden in Auswahlverfahren Frauen wegen ihres
Geschlechts seltener berücksichtigt, weil sie durch vermehrte Fürsorgezeiten mehr Lücken im Lebenslauf hatten als
Männer. Natürlich konnte die Künstliche Intelligenz nicht herauslesen, dass es sich hierbei nicht um eine lange
Arbeitslosigkeit oder ähnliches handelte, die in anderen Fällen als Ausschlusskriterium galt. In einem anderen Fall
wurde die Künstliche Intelligenz mit den bisherigen Bewerberdaten angefüttert, um Strukturen und Merkmale
zu lernen. Das betreffende Unternehmen hatte jedoch zuvor hauptsächlich Männer eingestellt, weshalb das
System Männlichkeit als ein Merkmal für Erfolg und Kompetenz definiert und dementsprechend weitere potenzielle
Mitarbeiter:innen ausgewählt hat.

Künstliche Intelligenz ersetzt nicht den persönlichen Kontakt

Durch solche Beispiele wird sehr deutlich, dass Künstliche Intelligenz auch ihre Grenzen hat bzw. es sehr wichtig
ist, diese umfassend zu trainieren, damit eine faire Auswahl gewährleistet werden kann. Und dennoch ist es essenziell, dass sich Unternehmen damit beschäftigen, wie sie ihre Bewerbungsprozesse durch diese Technologie bereichern und verbessern können. Dazu ist es nicht zwingend notwendig, die gesamte Bewerberauswahl einem System zu überlassen, da
Bewerber:innen schließlich auch das Unternehmen kennenlernen wollen – allen voran die neuen Kolleg:innen, die für die Mitarbeiterbindung insgesamt eine sehr bedeutende Rolle spielen.

Wo Künstliche Intelligenz gute Hilfestellungen leistet

Vor allem in den aktuellen Zeiten des Fachkräftenotstandes müssen Unternehmen mehr und mehr um neue Mitarbeiter:innen werben und sich, die Unternehmenswerte und die weiterführenden Angebote präsentieren. All diese Aspekte sind den digitalen Talenten zunehmend wichtig und entscheiden darüber, ob sie den Job antreten oder nicht. Diese soften
Kriterien kann eine Künstliche Intelligenz weniger vermitteln. Die Technologien funktionieren daher derzeit
noch nicht als Autopilot und können auch sicherlich nicht das persönliche Bewerbungsgespräch komplett ersetzen,
aber sie können Personaler:innen entlasten und sie zumindest bei der Auswahl geeigneter Bewerber:innen
unterstützen, wenn sie gut trainiert sind. Die letztendliche Auswahl der richtigen Person sollte jedoch von
Menschen übernommen werden, um Vorhersagefehler zu vermeiden. Ferner kann Künstliche Intelligenz die Prozesse beschleunigen, indem Standardprozesse automatisiert werden, beispielsweise bei der Vereinbarung von Bewerbungsgesprächen. Wichtig ist, die Chance, die sich durch den Einsatz von Künstlicher Intelligenz
ergibt, zu nutzen und sich schon im Rekrutierungsprozess von anderen abzusetzen und positiv aufzufallen. Sei
es, durch eine schnelle Rückmeldung und einen kurzen Prozess insgesamt oder durch einzelne innovative Ansätze
wie einen Chatbot. So können Unternehmen mit einer guten Candidate Experience herausstechen.

INFO: Einzelhandel: 108 ≤ n ≤ 109, Großhandel: 104 ≤ n ≤ 109, Hersteller: 103 ≤ n ≤ 105, Darstellung der Top-2-Werte („sehr nützlich“ + „eher nützlich“) in %

(1) Digitale Talente sind Personen, die seit mindestens zwei Jahren berufstätig sind und für die Kompetenzen in den folgenden Bereichen im Beruf relevant sind: Social Media, SEO/SEA, E-Commerce, Big Data, Content-Produktion, Digital-Design, digitale Kommunikation und Digital
Leadership.