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Im Zeitalter der Digitalisierung steht gerade der stationäre Handel vor der Herausforderung sein ihm einzigartiges Potential zur Ansprache mehrerer Sinne der Kunden am PoS zu nutzen. Allerdings gibt es trotz der vermehrten Verbreitung des multisensorischen Marketing in der Handelspraxis kaum Empfehlungen, wie dieses gezielt ausgestaltet werden sollte. Hier setzt die Doktorarbeit* „Multisensorisches Marketing – Eine empirische Untersuchung zum Einfluss auditiver und haptischer Reize auf das Konsumentenverhalten“ von IFH-Juniorprofessorin Dr. Monika Imschloß an und untersucht, ob und wie multisensorisches Marketing auf die Konsumenten wirkt. Im Fokus ihrer experimentellen Studien steht dabei das Zusammenspiel von auditiven und haptischen Reizen.   

Praktische Relevanz von multisensorischen Marketing

Multisensorisches Marketing beschreibt im Allgemeinen jenes Marketing, das mehrere Sinne der Konsumenten involviert und dadurch das Verhalten der Konsumenten beeinflusst. Obwohl viele Unternehmen bereits in der Vergangenheit sensorische Elemente im Rahmen des Marketing eingesetzt haben, entwickeln die meisten Unternehmen erst jetzt ein Bewusstsein für die gezielte Ansprache der Sinne der Konsumenten, vor allem im Hinblick auf das Zusammenspiel mehrerer Sinnesreize. Vor dem Hintergrund, dass fast alle Kauf- und Konsumsituationen multisensorischer Natur sind und von Konsumenten mit mehreren Sinnen wahrgenommen werden, ist es für Unternehmen relevant, die Interaktion verschiedener Sinne im Rahmen ihrer multisensorischen Marketingstrategie zu beachten.

„The five human senses are of crucial importance for an individual’s experience of different purchase and consumption processes. It is through the senses that every individual becomes conscious of and perceives firms, products, and brands.“
(Hultén/Broweus/Dijk 2009, S. 1).

Trotz des weit verbreiteten, häufig intuitiven Einsatzes sensorischer Reize in der Handelspraxis ist nur wenig darüber bekannt, wie diese Reize strategisch kombiniert werden, oder allgemeiner gesagt, wie multisensorisches Marketing erfolgreich angewendet werden kann. Aus der hohen Komplexität des Zusammenspiels mehrerer Sinne ergibt sich dabei für Unternehmen die große Herausforderung, die Wirkungsweisen des multisensorischen Marketing zu verstehen.

Allgegenwärtigkeit auditiver und haptischer Reize in Verkaufsumgebungen

An diesem Punkt setzt die Doktorarbeit „Multisensorisches Marketing – Eine empirische Untersuchung zum Einfluss auditiver und haptischer Reize auf das Konsumentenverhalten“ an. Sie untersucht vor dem Hintergrund, dass Musik in fast allen Konsum- oder Kaufkontexten im Handel gegenwärtig ist (z. B. Hintergrundmusik in Geschäften), wie diese mit der ebenfalls häufig in Verkaufsumgebungen gleichzeitig vorhandenen haptischen Information (durch das aktive Anfassen von Produkten oder die körperliche Wahrnehmung der Bodengestaltung) interagiert. Die Arbeit trägt folglich der Allgegenwärtigkeit und der daraus resultierenden Relevanz auditiver und haptischer Reize in der Realität der Handelspraxis Rechnung. Konkret adressiert die Dissertation zwei übergeordnete Forschungsziele, die das Zusammenspiel auditiver und haptischer Reize, betrachten: Zum einen wird untersucht, wie Musik die haptische Wahrnehmung von Konsumenten beeinflussen kann (Studie 1) und zum anderen wird untersucht, wie bestimmte Kombinationen von Musik und Bodenbelag auf Konsumenten wirken (Studie 2).

Kann Musik die haptische Wahrnehmung der Konsumenten beeinflussen?

Die erste Studie untersucht, ob sich die Wahrnehmung in der auditiven Modalität auf die Wahrnehmung in der haptischen Modalität übertragen lässt (crossmodale Korrespondenz). Es geht hierbei um die Frage, ob und wie weiche im Vergleich zu harter Musik zu einer intensiveren haptischen Weichheitswahrnehmung führt. In einer Reihe von vier Experimenten wird gezeigt, dass weiche im Gegensatz zu harter Musik zu einer Intensivierung der haptischen Weichheitswahrnehmung desgleichen Produktes führt.

Insgesamt zeigen die Ergebnisse, dass Musik – wie sie in Handelsumgebungen üblicherweise gespielt wird – die haptische Wahrnehmung von Konsumenten beeinflussen kann. Eine erhöhte Weichheitswahrnehmung wiederum kann sich vor allem bei Produkten, für welche Weichheit ein Qualitätskriterium ist (z. B. Bettwäsche, Kleidung), positiv auf handelsrelevante Variablen (z. B. Zahlungsbereitschaft) auswirken. Es wird angenommen, dass dieser Effekt aufgrund einer Übertragung von semantischen Assoziationen auftritt und nur stattfinden kann, wenn den Konsumenten ausreichend kognitive Ressourcen zu Verfügung stehen.

Wie wirken verschiedene Kombinationen von Musik und Bodenbelag in der Verkaufsumgebung auf das Konsumentenverhalten?

Im Gegensatz zur ersten Studie, welche die Übertragung der Sinneswahrnehmung einer Modalität (Akustik) auf die Sinneswahrnehmung in einer anderen Modalität untersucht (Haptik), widmet sich die zweite Studie der Betrachtung des gleichzeitigen Vorhandenseins auditiver und haptischer Reize. Konkret wird betrachtet, ob multisensorisch kongruente Verkaufsumgebungen (z. B. weiche Musik und weicher Teppichboden) im Vergleich zu inkongruenten Verkaufsumgebungen (z. B. weiche Musik und harter Fliesenboden) eine positive Auswirkung auf das Konsumentenverhalten haben. Hierfür wird im Rahmen eines Feldexperimentes in einem Lederwarenfachgeschäft die Hintergrundmusik (harte vs. weiche Musik) und der Bodenbelag (Teppich vs. Fliesenboden) variiert und die Kunden dabei im Geschäft befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass kongruent gestaltete Handelsumgebungen dazu führen, dass Konsumenten eine höhere einkaufsbezogene Selbstsicherheit empfinden, welche wiederum in positiveren Produktbewertungen und einer erhöhten Zahlungsbereitschaft resultiert. Kurz gesagt: Konsumenten bewerten das gleiche Lederwaren-Produkt in einer multisensorisch kongruenten vs. inkongruenten Verkaufsumgebung positiver.

Gezielter Einsatz sensorischer Reize in der Verkaufsumgebung

Ausgangspunkt der vorliegenden Studien war die Beobachtung, dass Händler in ihren Verkaufsumgebungen meist Musik spielen und Konsumenten gleichzeitig haptische Informationen in diesen Verkaufsumgebungen aufnehmen, die zum Beispiel einerseits von dem Anfassen der Produkte selbst oder andererseits von der Fußbodengestaltung stammen können.  Ein Verständnis des Zusammenspiels von Musik und haptischen Reizen ist daher relevant, da diese Reize in Verkaufsumgebungen vielfach gemeinsam auftreten und sich gegenseitig beeinflussen können.

Die Ergebnisse der Studien liefern Ansatzpunkte für Empfehlungen, wie Handelsunternehmen sensorische Reize gezielt einsetzen können. Insbesondere für Händler, welche ihre angebotenen Produkte nicht ändern können, kann der gezielte Einsatz (multi)sensorischer Reize im Rahmen der Verkaufsraumgestaltung eine Möglichkeit darstellen, die Wahrnehmung dieser Produkte oder deren Eigenschaften zu beeinflussen. So zeigen die Ergebnisse der ersten Studie, dass durch Musik die haptische Wahrnehmung der Produkteigenschaft „Weichheit“ beeinflusst werden kann und Konsumenten Produkte als haptisch weicher wahrnehmen, wenn weiche im Gegensatz zu harter Musik gespielt wird – dies ist vor allem für Textilhändler relevant. Die Ergebnisse der zweiten Studie zeigen, dass eine kongruente im Gegensatz zu einer inkongruenten Kombination von Musik und Bodengestaltung in der Verkaufsumgebung sich positiv auf die Produktbewertungen sowie die Zahlungsbereitschaft der Konsumenten auswirkt. Die Resultate verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass die in einer Handelsumgebung eingesetzten sensorischen Reize, aufeinander abgestimmt werden.

Insgesamt lässt sich aus den Ergebnissen beider Studien als Empfehlung ableiten, dass sich Händler zunächst der Möglichkeiten einer multisensorischen Kundenansprache bewusst werden sollten. Denn dies ist die Voraussetzung für einen zielgerichteten Einsatz des multisensorischen Marketing in der Verkaufsumgebung.

 

*Die Dissertation wurde am Lehrstuhl für Business-to-Business Marketing, Sales & Pricing (Professor Homburg) an der Universität Mannheim geschrieben. Gerne können Sie die Autorin per E-Mail kontaktieren: imschloss(at)wiso.uni-koeln.de

 

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